DebatteReichen vier Tage Arbeit pro Woche?

Seit etwa zehn Jahren häufen sich die weltweiten Pilotprojekte zur Vier-Tage-Woche. Das sagt viel über die sich seit jeher verändernde Arbeitswelt aus.
„Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die menschliche Natur“, sagte einst der englische Philosoph John Locke. Und doch ist die Geschichte voller Debatten und Wendungen, was die Arbeitszeit betrifft. 2023 haben Vollzeiterwerbstätige in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt 40,2 Stunden pro Woche gearbeitet. Insgesamt ist die Arbeitszeit seit 1991 allerdings rückläufig, da der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen hierzulande von 14 Prozent auf mittlerweile 30,2 Prozent gestiegen ist.
Im krassen Gegensatz dazu stehen Berichte aus der Zeit der Industriellen Revolution. Arbeit an Maschinen galt als leicht und Arbeitskräfte waren im Überfluss vorhanden. 90 Stunden pro Woche in einer Fabrik um 1850 bei niedrigem Lohn waren deshalb keine Seltenheit, wie es beispielsweise Hermann Bausinger, Professor für Kulturwissenschaften, für die Uhrenindustrie in Schwenningen skizziert. Sie resultierten auch aus der Tatsache, dass nicht mehr der Sonnenauf- und Sonnenuntergang den Tag bestimmten, sondern dank der Elektrizität und Gasnutzung quasi rund um die Uhr ein Vollbetrieb möglich wurde.
Schon die Acht-Stunden-Woche ist eine Errungenschaft
Aus diesem Grund sprach sich bereits 1817 der englische Unternehmer Robert Owen für eine Zeitformel aus, die acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Freizeit und Erholung vorsah. Sie wird seit 1979 in der Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fortgeführt: Eine reguläre Arbeitswoche soll nicht mehr als 40 Stunden umfassen.
Die Geschichte der Arbeitszeit ist aber auch eine des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels und eine der Arbeitszeitstandards. 1950 hat etwa ein Drittel der Erwerbstätigen in Deutschland im Dienstleistungsbereich gearbeitet, dem sogenannten tertiären Sektor. 2019 waren es knapp drei Viertel aller Beschäftigten. Im selben Zeitraum schrumpften der primäre Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) und sekundäre Sektor (produzierendes Gewerbe) drastisch, wie es die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) errechnet hat.
Bürojobs werden im Allgemeinen immer ausdifferenzierter. Hinzu kommen laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hohe psychische und körperliche Belastungen. Dementsprechend sind vor allem junge Berufstätige für eine Vier-Tage-Woche offen – sogar mit Gehaltsverzicht. Ihnen ist Freizeit deutlich wichtiger als den Generationen davor.
Kritik trotz positiver Pilotprojekte
Eine Vorreiterrolle bei Arbeitszeitverkürzungen nimmt seit jeher Island ein, das bereits von 2015 bis 2019 zwei große Pilotversuche durchführte. Heute kann der Großteil der Arbeitnehmer:innen reduzierte Wochenarbeitszeiten bei gleichem Lohn in Anspruch nehmen. Laut Internationalem Währungsfonds betrug Islands Wirtschaftswachstum 2023 fünf Prozent – einer der höchsten europäischen Werte. Zeitgleich liegt die Arbeitslosigkeit bei 3,4 Prozent und damit weit unter dem Durchschnitt.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft bemängelt allerdings, dass die Ergebnisse aus Island nicht konsistent seien. „Die Betriebe berichteten von Produktivitätssteigerungen durch spezifische Maßnahmen – etwa das Kürzen von Meetings oder der Wegfall von Kaffeepausen. Diese hätten auch ohne Arbeitszeitverkürzung erfolgen können, sodass sich die Tauschmenge zwischen Arbeitszeit und produzierter Menge von Gütern und Dienstleistungen nicht geändert hat.“
Dass es in der Diskussion um Arbeitszeiten nicht nur in die eine Richtung geht, zeigt auch die Debatte in Österreich: Dort unterstützte ÖVP-Ministerin Karoline Edtstadler den Vorstoß, 41 Stunden pro Woche zu arbeiten. Den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung bezeichnete sie als „linke Träume“, die dem Wohlstandserhalt widersprechen.
Arbeitsmodell auf dem Prüfstand
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es leichter ist die Vier-Tage-Woche für Bürojobs umzusetzen. Zudem gebe es oft einen Unterschied in der Anwendbarkeit zwischen öffentlichem Dienst und der Privatwirtschaft. Wie repräsentativ die bisherigen Studien sind, ist ebenfalls umstritten, da sich Unternehmen häufig freiwillig gemeldet haben.
Dr. Romana Dreyer, Geschäftsführerin des Center for Better Work an der Universität Hamburg, begrüßt den Diskurs um Arbeitszeiten, mahnt aber ebenfalls an, dass noch viel Forschung nötig ist. Gerade bei Nachbefragungen sei das genaue Arbeitszeitmodell unklar, ob also vier Tage bei gleicher Bezahlung gearbeitet wurde oder der fünfte Arbeitstag auf die übrigen verteilt wurde „Es bleibt also fraglich, ob allein die Vier-Tage-Woche für das bessere Befinden verantwortlich ist oder ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren, wie engagierten Führungskräften und dem Aufbau einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur.“ Das Institut der deutschen Wirtschaft räumt ein, es gebe „Konstellationen, in denen die Reduzierung der Anzahl der Arbeitstage Sinn ergibt“, sieht aber keinen Beweis dafür, wie das „Modell in einem gesamtwirtschaftlichen Maßstab funktionieren“ soll.
Bill Gates denkt schon weiter
Für Ökonom:innen bleibt ein entscheidender Punkt die Frage nach der Produktivität und ob diese wirklich branchenübergreifend gehalten werden kann. Ein Argument dafür könnte der umfassende Einsatz künstlicher Intelligenz sein. Für Microsoft-Gründer Bill Gates sei eine Welt, in der „Maschinen alle Lebensmittel und andere Dinge herstellen können“, mehr als denkbar. Er prognostizierte in einer Folge des Podcasts What now? von Trevor Noah sogar: „Wenn man eines Tages eine Gesellschaft hat, in der man nur noch drei Tage pro Woche arbeiten muss, ist das wahrscheinlich in Ordnung.“
(Text: Daniel Lehmann)