„It’s a shame“: Asyl- und Flüchtlingspolitik in Großbritannien
Die Hilfsbereitschaft der britischen Bevölkerung gegenüber Geflüchteten scheint groß. Etwa 100.000 Menschen zogen am 12. September durch London, um ihre Solidarität mit Flüchtlingen kundzutun. Doch die Regierung reagiert höchstens unzureichend – meint Zoe Gardner von der Organisation Asylum Aid.
Kürzlich sind die ersten Flüchtlinge im Rahmen des Umsiedlungsprogramms von Italien nach Schweden gezogen: der Startschuss einer möglichen EU-weiten Asyl- und Flüchtlingsregelung. Doch Großbritannien ist außen vor. Dadurch, dass Großbritannien nicht Teil des Schengen-Raums ist, gibt es keine offenen Grenzen.
„Dies wurde als Argument herangezogen, dass Großbritannien nicht an gemeinsamen europäischen Asyl- und Flüchtlingsprogrammen teilnehmen kann, da Grenzkontrollen durchgeführt werden“, sagt Zoe Gardner von der Organisation Asylum Aid, die sich für eine faire Flüchtlingspolitik einsetzt. Großbritannien habe somit die Möglichkeit, bei allen EU-Programmen in Bezug auf Immigration und Asylpolitik auf den opt-out zu verweisen.
„It is really shameful that the UK is not agreeing to take part in this relocation scheme.“
Das britische Asylverfahren
Durch ihre Arbeit bei Asylum Aid kennt Zoe Gardner sowohl den Prozess, den Asylsuchende in Großbritannien durchlaufen, als auch das politische System dahinter. Sie kritisiert, dass die britische Regierung nicht angemessen auf die humanitäre Krise reagiere. Außerdem sei die Frage, wie Großbritannien mit Flüchtlingen und Asylsuchenden umgeht, von offizieller Seite nie behandelt worden. „Wir haben ein sehr skrupelloses Asylsystem, das außerdem extrem ineffizient ist.“
Großbritannien habe ein Verteilungssystem, das die Menschen über das ganze Land hinweg verteilt. Die Flüchtlinge hätten auf die Ortswahl keinen Einfluss. Menschen würden teilweise aus familiären Strukturen gerissen und von jeglichen Unterstützungsnetzwerken getrennt.
Zwar werden vor Ort die Grundbedürfnisse der Flüchtlinge befriedigt, die Dauer der Prozesse sei jedoch zu lang. Auf die erste Entscheidung im Laufe des Asylverfahrens warten Asylbewerber in Großbritannien bis zu ein Jahr. Ungefähr zwei Drittel der Asylverfahren werden abgelehnt.
Die meisten Menschen gehen daraufhin in Berufung, davon wird ein Drittel gestattet. „Das bedeutet, dass bei einem Drittel der Asylverfahren die Entscheidung getroffen wird, dass die Menschen zurück in ihr Heimatland müssten, wo ihnen jedoch Folter, Tod und jegliche Art von Misshandlung drohen“, so Zoe Gardner.
„We are making very bad decisions in a very slow system that is incredibly cruel to the people within it.”
Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen Menschen ohne kriminellen Hintergrund in sogenannten Abschiebezentren festgehalten werden. Zoe Gardner spricht von ungefähr der Hälfte aller Asylbewerber, die während des Verfahrens ohne jeglichen kriminellen Hintergrund in Gewahrsam genommen werden. Neben der Ineffizienz dieses Detentionssystems sei es unverantwortlich, Menschen ohne Begründung einzusperren, die vor sämtlichen Arten von Missbrauch geflohen sind.
Besonders bekannt sei das Abschiebezentrum Yarl‘s Wood. Das Zentrum nördlich von London, das laut Gardner nicht besser ist als ein Gefängnis, ist eine Unterkunft für Frauen. Zuletzt wurden Fälle bekannt, in denen sexuelle Übergriffe, Missbrauch und rassistische Äußerungen von Wärtern stattgefunden haben sollen. „Diese Zentren kosten uns eine Menge Geld und sind nicht effektiv. Es ist nicht so, dass es wahrscheinlicher ist, jemanden erfolgreicher abzuschieben, weil man die Menschen einsperrt.“
„They are completely pointless apart from being cruel.”
Die Reaktion der Regierung
In der ersten Septemberwoche kündigte Premierminister David Cameron das sogenannte Vulnerable Persons Resettlement Scheme an, mit dem 20.000 syrische Flüchtlinge über die nächsten fünf Jahre nach Großbritannien umgesiedelt werden sollen. Zoe Gardner hält diese Zahl für nicht ansatzweise ausreichend. Die Opposition vertrete die Meinung, dass es zwar gut sei, Menschen aus den Camps nach Großbritannien umzusiedeln, aber die Zahl müsse größer sein und Großbritannien habe die Aufgabe, sich in der Krise in Europa zu engagieren. Die britische Regierung ignoriere die humanitäre Krise in Europa jedoch, so Gardner.
Die Einstellung der Bevölkerung
Täglich erreichen die Organisation Asylum Aid zahlreiche Anrufe. Es sind Menschen, die freie Zimmer und alte Kleidungsstücke zur Verfügung stellen und ehrenamtlich helfen wollen. Zoe Gardner findet es skurril, dass sie den Menschen sagen muss, dass ihre großzügigen Hilfsangebote nicht benötigt werden. Sie muss den Menschen mitteilen: „Ihr seht die Krise in den Nachrichten, hört von ihr im Radio. Aber sie passiert nicht hier. Wir haben immer noch so niedrige, überschaubare Zahlen an Asylbewerbern und keinen großen Anstieg im Vergleich zu anderen Ländern.“
Die britische Bevölkerung sehe Menschen in Deutschland und Österreich, die ihre Solidarität mit Flüchtlingen zeigten. Die Menschen in Großbritannien wollen dasselbe tun, aber die Flüchtlinge seien nicht da, weil Großbritannien sie nicht hereinlasse.
„The British people are not actually given the opportunity to be as generous and as charitable as they actually clearly want to be. That’s just really wrong.“
100.000 Menschen demonstrieren für Willkommenskultur
Die Bereitschaft der Bevölkerung zur Mithilfe wurde besonders bei der Demonstration am 12. September mit dem Titel Solidarity with Refugees deutlich. Gardner ist eine der Organisatoren und stand vor etwa 100.000 Teilnehmern auf der Bühne, um für eine faire und effiziente Flüchtlingspolitik zu kämpfen. „Es war sehr wichtig, um den Menschen, die sich in dieser Bewegung engagieren, Energie zurückzugeben und den geflüchteten Menschen zu zeigen, dass sie hier willkommen sind. Vor dieser Menschenmasse zu stehen, zu sagen ‚Refugees welcome‘ und die Menge dann jubeln zu hören, das war für mich persönlich einfach unglaublich.“
Lösungsansätze
Doch wie kann es in Zukunft weitergehen? „Ich denke, dass es genug Menschen in diesem Land gibt, auch in der Politik, die wissen, dass wir dieses Problem nicht ignorieren können und wir enger mit den anderen europäischen Staaten zusammenarbeiten müssen.“
Es gibt jedoch Widerstand in der Regierung. Aufgrund des anstehenden EU-Referendums seien Cameron und sein Kabinett darum bemüht, einen entschlossenen Eindruck zu vermitteln, der die Kooperation mit anderen Mitgliedstaaten nicht vorsehe. „Das ist kontraproduktiv. Wenn wir jetzt Stärke beweisen und unsere Rolle in der Krise einnehmen, würden wir wahrscheinlich innerhalb der EU auf offenere Ohren stoßen, wenn es um Verhandlungen über andere Themen im Vorfeld des Referendums geht“, sagt Gardner.