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Dein Rassismus, mein Rassismus

Von Claudia Ermel / 19. September 2018
picture alliance / PhotoAlto | Eric Audras

Viele Menschen glauben, Kulturen seien nicht gleichwertig. In einem sind sich aber viele Kulturen erschreckend ähnlich: Sie bauen ihre nationale Identität auf rassistischen Vorurteilen gegenüber anderen Gruppen auf.

Wer über das Thema Rassismus mit Menschen spricht, die nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, wird oft hören, dass sie Rassismus bereits in ihrer früheren Heimat erlebt haben. Vor allem Kurd*innen, Jüdinnen und Juden oder Sinti und Roma kennen diesen blinden Hass, der sich allein gegen ihre Existenz richtet. Einige von ihnen sind vor rassistischer Verfolgung durch mehrere Länder geflohen und fragen sich: Woher kommt diese Art des Hasses?

In jeder Kultur haben die Menschen das Bedürfnis nach einer Identität, die ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft gibt. Und jede Kultur kennt die Angst der Menschen vor dem Fremden, Ungewohnten. Dass diese Angst manchmal in Rassismus mündet, ist paradoxerweise etwas, was sie alle gemeinsam haben. Es sind dabei jeweils sehr unterschiedliche Merkmale, die abgelehnt werden. Jede Gesellschaft orientiert sich an einem eigenen idealen Menschenbild. Wenn Aussehen oder Herkunft einer Person davon abweichen, kann sie allein deshalb ausgeschlossen oder gar nicht erst hinein gelassen werden.

Rassismus ist ein globales Problem

„Im Iran gab es früher und gibt es auch heute noch Rassismus. Aktuell richtet er sich mal wieder gegen die Flüchtlinge aus Afghanistan, deren Diskriminierung im Iran eine lange Geschichte hat“, erzählt mir der Iraner Mohsen Ataey, ein ehemaliger ehrenamtlicher Mitarbeiter der Plattform Welt in Hannover, der bereits seit 1979 in Deutschland lebt. Aber auch viele Kurd*innen berichten, dass sie Rassismus im Iran erfahren haben.

Ein syrischer Übersetzer, der für die Webseite die arabischen und kurdischen Übersetzungen erledigt, erinnert sich, dass jüdisch sein in seiner Heimat abgelehnt wurde. Er selbst ist Kurde und wurde verhaftet, weil er an der Uni in Damaskus über Franz Kafka, einen Juden, forschte.

Das Erbe der Sklaverei

„Rassismus gibt es überall. In unserer internationalen Frauengruppe wollten die türkischen Frauen keine Afrikanerinnen dabei haben“, erzählt die Leiterin eines Freizeitheims in Hannover. In der Türkei gibt es die diskriminierte Minderheit der Afrotürk*innen, die durch ihre mehrheitliche Abstammung von Sklav*innen wenig Achtung erfährt.

Auch in Indien, wo innerhalb der streng nach einem Kastensystem organisierten Gesellschaft eine dunklere Hautfarbe als Makel angesehen wird, ist Rassismus gegen Afrikaner*innen sehr verbreitet.

Lipi Ahmed, die aus Bangladesch stammt und heute in Hannover beim MigrantInnenSelbstOrganisationen Netzwerk Hannover e.V. (MiSO) arbeitet, bestätigt, dass Rassismus sich ihrer Erfahrung nach durch alle Kulturen zieht. Lipi lebt seit über 20 Jahren in Hannover. Ihre Familie in Bangladesch besucht sie fast jedes Jahr. MiSO ist ein Netzwerk von und für Migrant*innen, das sich mithilfe verschiedener Aktionen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in Hannover und der umliegenden Region einsetzt.

Existenziell: Der richtige Teint

„Aus Bangladesch kenne ich Rassismus auch, er äußert sich aber ganz anders als hier in Deutschland,“ sagt Lipi Ahmed. „Wir sind alle Bengalen. Doch bei uns reicht eine Nuance im Hautton aus, um keinen heiratswilligen Mann oder keinen Job zu finden, der Teint kann existenziell sein. Das ist der Rassismus, der bei uns herrscht.“

Hautfarbe als äußerliches Merkmal ist weltweit Anlass für rassistische Reaktionen. Genauso wie Herkunft. Wer Andersartigkeit (Hautfarbe) und Fremdsein (Herkunft) kombiniert, ist häufig Vorurteilen ausgesetzt und muss sich im 21. Jahrhundert noch in Acht nehmen. Nicht nur in homogenen Gesellschaften.

Hierarchien zwischen Rassen

Aktuell engagiert sich China wirtschaftlich vermehrt in Afrika, was unweigerlich auch eine Interaktion der sehr unterschiedlichen Menschen und Kulturen mit sich bringt. Trotz guter Handelsbeziehungen existieren unter Chines*innen weit verbreitete Vorurteile gegenüber Schwarzen. „Es herrschen klare soziale Hierarchien, die auf rassischer Überlegenheit basieren“, schreibt der amerikanische Soziologe M. Dujon Johnson.

Barry Sautman, Soziologieprofessor an der Hong Kong University of Science and Technology, forscht seit Jahren zum Thema des chinesischen Rassismus. „Rassismus hat eine lange Tradition in China, und rassische Typologien sind tief in traditionellem chinesischem Denken verwurzelt“, sagt er. Die wesentliche Ursache dafür sieht er in dem ethnischen Einheitsgedanken, der für die chinesische Gesellschaft prägend sei.

„Jahrhundertelang war China ein geschlossenes, nahezu autarkes Land. Bis heute ist China eines der ethnisch homogensten Länder der Welt. Rund 92 Prozent der Bevölkerung sind Han-Chinesen, nur 0,04 Prozent der Chinesen wurden im Ausland geboren.“

Aber Zeiten ändern sich. Beispiele für ein Umdenken gibt es in Teilen Südchinas. Die “Schokoladenstadt“, wie sich der Teil Guangzhous nennt, in dem inzwischen die größte schwarze Community Asiens lebt, ist einer der Orte, an dem sich immer mehr Begegnung und Austausch ergibt.

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