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Der Teufel ist ein Looser

Von Maria Köpf / 11. Dezember 2018
picture-alliance / maxppp | ARNAUD FINISTRE

Marius Kanner ist kein Angsthase. Aber er hat beinahe ständig und vor fast allem Angst. Denn Kanner leidet an Schizophrenie. Schon fast sein halbes Leben lang.

Die Hölle in seinem Kopf wird niemals zufrieren. Diese Hölle ist brandheiß. Der Mund atmet glühende Luft und lässt die Lunge unter den wabernden Hitzewolken ächzen. In der letzten Woche sah Marius Kanner ihn jede Nacht, den gezackten Spieß, der unter der behaarten Hufe aufleuchtet. In seinen Albträumen ist das keckernde Lachen des Teufels zu lebendig, als dass er tagsüber nur ein Gespinst seiner Vorstellung sein könnte. Da ist sich Kanner sicher.

Marius Kanner, der eigentlich anders heißt, geht bedächtig. Mit klobigen Schuhen tritt er in den Flur, auf seinem kurz geschnittenen braunen Haar einen großen weißen Kopfhörer. Der dunkle Parka verleiht dem noch jugendlichen Gesicht etwas Schweres. Kanners kräftige Finger zerren hektisch an den Schürsenkeln. „Die Schulferien waren schön. Es waren zwei Wochen lang fast keine Menschen im Bus“, erzählt er mir. Heute wird die Busfahrt für den Berliner wieder anstrengend. Bis er seine Arbeitsstätte erreicht. Dann ist er unter Freunden.

In sich selbst eingesperrt

Seit Jahren kämpft Kanner gegen Schizophrenie. Die psychische Störung verzerrt seine Wahrnehmung. Ob im Bus oder an der Haltestelle: Menschen rufen in ihm ein tiefes Unbehagen hervor. Er ängstigt sich vor ihnen. Vor allem vor solchen, die durch ihn hindurch sehen können und alles über ihn wissen. Auch vor einigen Arbeitskollegen, die ihn manchmal kritisieren. Und vor der Hölle. Genauso wie davor, bald zu sterben.

2017 hatte der heute 32-Jährige einen starken Schub. Seither ist es mit der Ruhe in ihm vorbei. Kanner fühlt sich eingesperrt in seinem Kopf, immerzu konfrontiert mit beunruhigenden Gedanken.

Als Kanner und seine Eltern 2003 erfahren, dass er unter Schizophrenie leidet, ist er 17 Jahre alt. Seine stille, zurückgezogene Art fiel nicht auf. Doch plötzlich erfand er immer neue Wörter. „Grito Lilo“ kam häufig aus seinem Mund, er lachte viel darüber. Wen oder was er damit meint, weiß niemand. Auch er selbst nicht. Neben seiner Sprache veränderte sich schließlich sein Verhalten. Zur Hochzeit der Schwester wollte er nicht ins Auto steigen. Und auch die vielen Menschen, die ihn in der Kirche begaffen könnten – den Gedanken ertrug er nicht. Also, blieb er zuhause.

Freunde fürs Leben?

Seine Mutter suchte lange eine passende Arbeitsstätte für ihn. Die Lehre zur Bürokraft war eine Sackgasse. Ein Sozialarbeiter empfahl die Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen. Ein guter Rat: In einem Team von Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen findet Kanner sogar Freunde. Sie ticken wie er, liegen ab und zu im Ruheraum nebenan. Lieben Essen. Und auch sie sind im Grunde gutmütige, wenn auch nach außen hin manchmal behäbige Menschen.

Nach der Arbeit gehen sie gemeinsam auf den Weihnachtsmarkt, trinken Glühwein und sprechen über die neuesten Blockbuster. Aber wenn ihn das Gerede anödet, zieht Kanner die Reißleine. „Zuhause liegen noch spannende Bluerays“, verabschiedet er sich unvermittelt und geht.

Arbeit, die Hoffnung macht

Auf dem Adventsbasar führt mich Marius Kanner stolz durch seine Arbeitsstätte. Kuchen, Weihnachtsgebäck und ein Blasorchester begrüßen die Gäste im Foyer. Im Gang auf dem Weg zum Arbeitsteam hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Ein Mensch ohne Macke ist kacke“.

Es ist eine unaufgeregte, monotone Arbeit. Tagein tagaus: bekleben, verschließen. „Niveatüten“ steht auf einer der durchsichtigen Kisten im Raum. Daneben Reis, Öle, Gewürze. Dieser Ort ist keiner zum Fürchten. Doch Kanner möchte jetzt lieber in den Ruheraum. Hinter verschlossener Tür blickt er gelöst. Hier kann er frei reden. Einige Kollegen würden ihn in letzter Zeit häufig kritisieren. „Zu langsam bin ich“, formuliert er etwas umständlich. Dabei mache er seine Arbeit doch gut, sagt er und klingt beinahe zuversichtlich.

Auch der Papst hat Angst

Auf dem Weg nach Hause quälen ihn die peinigenden Gedanken wieder. Wäre er doch nur öfter in die Kirche gegangen. Dann wären sie jetzt nicht da, die Panikattacken: „Glaubst du, ich komme in die Hölle?“ fragt Kanner mich verunsichert.

Jede Beschwichtigung streift ihn bloß. Der innere Frieden dauert nur einen kurzen Moment, dann ist die Angst wieder präsent. Die Angst vor der spitzen Lohe des ewigen Feuers. „Ich hoffe, ich komme nicht in die Hölle“, diese Furcht treibt ihn um. Er will, ja, er muss sie in die Schranken weisen. Muss darüber sprechen, seine Ängste teilen. „Mein Freund Bastian sagt, dass der Teufel ein Looser ist“, erzählt er. Das wäre die Lösung. Wenn der Teufel einfach nichts drauf hätte. Dann scheint Kanner wieder in Gedanken versunken. Plötzlich fragt er: „Auch der Papst hat doch manchmal Angst, oder?“

Abends ruft mich Kanner an. Er klingt fröhlich. Gerade habe er gegoogelt, wann die Erde untergehe. „Unser Planet wird noch 1,75 Milliarden Jahre existieren“. Jetzt ist er erst einmal beruhigt. Der Teufel ist ein Looser, der Papst hat auch Angst und die Welt geht erst in über einer Milliarde Jahren unter. Heute war ein guter Tag für Marius Kanner.

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