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Ein Dorf und seine Flüchtlinge

Von Katharin Tai / 17. September 2015
picture alliance/dpa | Philipp Schulze

Flüchtlingsunterkünfte gibt es nicht nur in Großstädten oder in Ostdeutschland, sondern auch auf dem niedersächsischen Land. Die Flüchtlingsunterkunft in Hesepe ist mehr als 25 Jahre alt.

Hesepe hat an die 3000 Einwohner – und mittlerweile etwa genauso viele Flüchtlinge in der Erstaufnahmestelle der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB), die direkt an den Ort grenzt. Hesepe ist ein Stadtteil der niedersächsischen Stadt Bramsche, etwa eine Viertelstunde mit dem Auto von Osnabrück entfernt.

Während in ganz Deutschland neue Unterkünfte eingerichtet und zahllose leerstehende Gebäude umfunktioniert werden, um Flüchtlingen ein festes Dach über dem Kopf zu bieten, gibt es die LAB bereits seit 1989. Ihre jetzige Funktion als Erstaufnahmestelle für Asylsuchende hat sie allerdings erst seit 2014 inne: Vor vielen Jahren war sie eine NATO-Kaserne, die zu einem Grenzdurchgangslager für Spätaussiedler und Flüchtlinge aus dem Kosovo und Albanien wurde. Danach war sie erst eine „Landesaufnahmestelle“, dann eine „Gemeinschaftsunterkunft“, aus der in erster Linie Menschen abgeschoben wurden.

Damit gibt es die LAB in der ein oder anderen Form seit mehr als 25 Jahren. In den 18 Jahren, die ich selbst in Bramsche gelebt habe, habe ich sie nur selten bewusst wahrgenommen – manchmal, wenn wir durch ein Waldstück bei Hesepe fuhren, sahen wir ein Schild, das auf die LAB hinwies. Einige Jahre später ging ein Mädchen, das mit ihrer Familie in der LAB lebte, in die Schulklasse meines Bruders. Ansonsten hielten sich sowohl die Aufmerksamkeit als auch die Berührungspunkte in Grenzen.

Zu viele Menschen, zu wenig Raum

In den vergangenen Wochen und Monaten ist die Existenz der LAB Bramsche und dem Osnabrücker Land scharf in Erinnerung gerufen worden. Woche für Woche hat sich die Aufnahmestelle mit immer mehr Menschen gefüllt. Ursprünglich eingerichtet für 600 Bewohner, waren es bereits Ende 2014 fast 1.000 Asylsuchende, die dort lebten, mittlerweile sind es offiziell knapp 3.000. Die Lokalzeitung berichtet fast täglich von den Bedingungen in der Aufnahmestelle. Viele Menschen schlafen auf dem Boden, manche in den Verwaltungsbüros. Die Sanitäranlagen sind verdreckt, immer wieder kommt es auf dem viel zu engen Raum unter den Menschen zu Streitereien.

Die Zivilgesellschaft der Stadt ist schon seit längerem mit den Mitarbeitern und den Bewohnern der LAB in Kontakt: Seit sieben Jahren gibt es den „Runden Tisch LAB“ unter der Leitung des Vereins Bramscher Initiative für das Miteinander der Kulturen (Biku), der sich mit Einzelfällen und mittlerweile auch zunehmend der Gesamtsituation in Hesepe beschäftigt. Mit Treffen, die alle zwei bis drei Monate stattfinden, versucht er, Funktionsträger aus den Gemeinden, Privatpersonen, Lokalpolitiker und Mitarbeiter der LAB zusammenzubringen und einen mehrseitigen Dialog in kleiner Runde zu ermöglichen.

Annette Specht, die den Runden Tisch als Biku-Vorsitzende organisiert, berichtet von kleinen Erfolgen, zum Beispiel von Kindern, für die der grundlegende Unterricht in der LAB zu einfach ist, die schon einigermaßen gut Deutsch sprechen und deshalb doch auf die örtliche Realschule oder das Gymnasium gehen dürfen. Sie berichtet von einem jungen Mann, der am besten an die Berufsschule in Bersenbrück gegangen wäre, dies aber offiziell nicht durfte. „Wir haben dann intern einen Platz für ihn organisiert und auch geschaut, wie wir die Fahrkarten nach Bersenbrück finanzieren können“, so Specht.

„Man muss die Bewohner von Hesepe ernst nehmen“, sagt Specht. Das Dorfleben sei belastet, der kleine Ort zum Durchgangsbahnhof für Asylbewerber geworden. Trotzdem gibt es in der ganzen Region viel Hilfsbereitschaft, seit das Thema so stark in den Medien vertreten ist. Zum Teil werden so viele Spenden gesammelt, dass man sie kaum ordnen und organisieren kann.

Eine andere Organisation, die mit den Menschen in der LAB arbeitet, ist die Initiative FreiZeit für Flüchtlingskinder des Osnabrücker EXIL-Vereins. Einmal pro Woche besuchen zehn Betreuer, darunter viele Studenten, die LAB und unternehmen mit etwa dreißig Kindern etwas – sie besuchen ein Museum, nehmen an einem Parcourstraining teil, basteln Puppen oder machen Sport.

Eine Betreuerin ist die 20 Jahre alte Studentin Alica, die selbst aus Bramsche kommt. Sie erzählt enthusiastisch von der unkomplizierten Kommunikation mit den Kindern, und davon, wie die Initiative versucht, eine Abwechslung zu dem gerade für Kinder recht eintönigen Alltag in der LAB zu bieten. Eigentlich solle es vor Ort Unterricht geben, durch die Überbelegung könnten aber wohl nicht mehr alle Kinder unterrichtet werden.

Vergiftete Stimmung

Alica hat das Gefühl, dass es durchaus Vorbehalte unter Bramschern und Hesepern gegenüber den Flüchtlingen in der LAB gibt. Die würde die Initiative gern zerstreuen. „Wir versuchen zum Beispiel, die Heseper und Bramscher Kinder mit einzubeziehen, damit sie merken: Die Flüchtlinge sind gar nicht so anders!“ Im Juli gab es ein Sommerfest, für November ist ein Laternenumzug zusammen mit dem Heseper Kindergarten geplant.

Die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der niedersächsischen Grünen, Filiz Polat, kommt auch aus Bramsche. Sie macht sich vor allem Sorgen über die zunehmende Rhetorik über den Unterschied zwischen Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen, nicht nur in Bramsche: „Sogar manche Spender sagen dann, dass sie zum Beispiel nur für die syrischen Kinder spenden wollen, aber nicht für die Roma-Kinder. Das vergiftet die Stimmung total.“

Polat informiert sich regelmäßig über die Lage vor Ort, kennt die aktuellen offiziellen Bewohnerzahlen und weiß, wie viele Flüchtlinge in ganz Niedersachsen dringend in winterfeste Unterkünfte gebracht werden müssen. „In Hesepe leben etwa 1.700 Flüchtlinge in Zelten, wenn nicht mehr – die sollten da natürlich raus!“ Als Anfang September neue Notunterkünfte eingerichtet worden waren, hatte Polat gehofft, dass Hesepe entlastet werden würde. „Dann kam die Nachricht, dass wir Flüchtlinge aus München aufnehmen müssen.“ Allein an jenem Wochenende nahm Niedersachsen 3.000 Flüchtlinge auf, die in Bussen aus Bayern kamen.

Hesepe ist immer noch überlastet. Es gibt neue finanzielle Mittel, einen zweiten Eingang für die LAB und einen Müllsammeldienst, damit es etwas ruhiger wird. Es ist alles kompliziert. Nicht nur in Syrien, sondern – in ganz anderer Form und Stärke – auch in Hesepe auf dem niedersächsischen Land.

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