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Entscheidung zwischen Macht und Ohnmacht

Von Julia Berghofer / 29. März 2016
picture alliance / AP Photo | Alastair Grant

Die Attentate in Brüssel haben Europa tief getroffen. Man versucht, sich pragmatisch zu geben, auch wenn sich nichts mehr anfühlt, wie zuvor. Ein Erfahrungsbericht.

Am Morgen nach den Anschlägen am Brüsseler Flughafen Zaventem und der Metrostation Maelbeek ist das Europaviertel verwaist. Die EU-Institutionen haben nicht geschlossen, doch nur wenige Menschen kommen zur Arbeit. Die Busse und Straßenbahnen fahren teilweise, die U-Bahn ist gesperrt. Obwohl ich im Hintergrund immer wieder Polizeisirenen höre, wirkt die Stadt auf mich nicht aufgeregt und panisch, sondern fast schon beängstigend ruhig.

Um die EU-Institutionen herum ist es still. Fast menschenleer. Nur vereinzelt fährt ein Bus oder ein Auto. Am Place Luxembourg, direkt gegenüber dem Europäischen Parlament, stehen ein paar Taxen. Vermummte Soldaten bewachen den Eingang zum S-Bahnhof Luxembourg, sie durchsuchen die Taschen der Passanten. Wo sonst die EU-Beamten und NGO-Vertreter ihre Mittagspause verbringen, ist heute fast nichts los. Auch ich möchte nicht länger draußen sein als nötig. Doch zur Arbeit – ich mache derzeit ein Praktikum bei einer politischen Stiftung – muss ich an diesem Tag zu Fuß gehen, weil mein Bus im Stau steckt. Mit der Metro zu fahren wird vermieden. Wer kann, fährt mit dem Auto oder Rad – aber für sich.

EU aus Überzeugung

Auf dem Weg ins Büro fallen mir die blau-weißen Absperrbänder auf, die dort zerrissen auf dem Boden liegen, wo die Polizei am Vortag noch den Bereich rund um Maelbeek abgeriegelt hat. Normalerweise steige ich auch an dieser Station aus, so wie der Großteil derer, die im EU-Viertel arbeiten. Am Tag der Anschläge habe ich zufällig den Bus genommen. Als sich die Explosion ereignete, saß ich etwa 300 Meter entfernt im Büro. Nach sechs Stunden unruhigen Wartens entschieden meine Kollegen und ich, dass es nun sicher genug sei, mit dem Auto nach Hause zu fahren.

Diese Stunden verbrachten wir nur drinnen, fühlten uns sicher und zugleich doch ausgeliefert. Wir konnten die Lage kaum einschätzen, auch deshalb, weil wir durch die Fenster nicht genau sehen konnten, was draußen passierte. Wir konnten nicht frei entscheiden, wohin wir gehen, und wir hatten Angst. Angst, vor weiteren Anschlägen.

Dieses Ohnmachtsgefühl – das Gefühl, die Situation, in der man sich befindet, nur bedingt kontrollieren zu können – ist irgendwann in Pragmatismus umgeschlagen. Wir alle arbeiten aus Überzeugung für die EU, weil wir hinter dem europäischen Gedanken stehen. Dieses Projekt nun in Frage zu stellen, weil es direkt und brutal angegriffen wurde, ist wenig zielführend. Wir wissen das. Deswegen habe ich versucht, mich schnell wieder auf meine Aufgaben zu konzentrieren.

Terrorwarnstufe Drei wurde zur neuen Brüsseler Normalität

Die Rückkehr zu einer Art Normalität ist in Brüssel vielleicht deswegen etwas einfacher, weil die Attentate die Bewohner nicht völlig unvorbereitet getroffen haben. Im vergangenen November hatte die Stadt nach den Anschlägen von Paris mehrere Tage den sogenannten „Brussels Lockdown“ angeordnet. Schulen, Geschäfte und Restaurants blieben geschlossen, das Militär bewachte die zentralen Plätze, Institutionen und Einkaufsstraßen. Proben für den Ernstfall, der schneller kam als gedacht.

Seitdem bin ich daran gewöhnt, dass mir vor dem Kommissionsgebäude Soldaten mit Maschinengewehren entgegenkommen. Die Terrorwarnstufe Drei wurde zum Ausdruck einer neuen Normalität. Manche Medien beschrieben diese Atmosphäre als kriegsähnlichen Zustand. Die Brüsseler selbst schienen sich nicht im Krieg zu fühlen. Dennoch glaube ich, dass viele spätestens seit Paris damit gerechnet haben, dass auch Brüssel zum Anschlagsziel werden würde. Auch ich bin insgeheim davon ausgegangen.

Hysterie und Schuldzuweisungen verstärken die Ohnmacht der EU

Zwar sind die Brüsseler schnell dazu übergegangen, so etwas wie Alltag einkehren zu lassen. Doch der 22. März 2016 hat die Gesamtsituation verändert. Die Gefahr ist greifbarer und konkreter geworden. Die EU muss sich  fragen, wie sie in diese gefühlte Hilflosigkeit gegenüber dem Terror geraten konnte. Dabei kommt es nicht darauf an, die Schuld im Verhalten einzelner Länder zu suchen. Mutmaßungen darüber, dass insbesondere Belgien ein gescheiterter Staat und seinem selbstgezüchteten Terrorismus schutzlos ausgeliefert sei, helfen nicht weiter. Im Gegenteil, sie vergrößern die Kluft zwischen den EU-Mitgliedstaaten.

Am zweiten Abend nach den Anschlägen gehen in einer Bar am Place Luxembourg schon wieder die Lichterketten an. Der Blumenladen und das Lebensmittelgeschäft gegenüber dem S-Bahnhof haben wieder geöffnet. Die Polizeisirenen im Hintergrund klingen etwas weniger beunruhigend.

Jetzt, eine Woche nach den Attentaten, überkommt auch mich immer noch hin und wieder ein unentschiedenes Wanken zwischen pragmatischem Handeln und lähmender Unsicherheit. Dabei ist mir klar: Die Hysterie, die in den vergangenen Tagen teilweise in den Medien verbreitet worden ist, hat oftmals die Realität überzeichnet und unterschlagen, dass die EU durchaus in der Lage ist, Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Die Macht der EU liegt darin, mit Besonnenheit zu reagieren und gemeinsame, länderübergreifende Strategien zu entwickeln. Der Rückfall in nationale Muster würde die Ohnmacht der EU und ihrer Mitglieder um ein Vielfaches verstärken.

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