Es war einmal?
Die Zahl der Menschen, die die EU ablehnen, wächst. Das liegt auch daran, dass sich die Länder immer weniger als Partner denn als Konkurrenten sehen.
Die Brexit-Entscheidung im vergangenen Juni war ein Paukenschlag für die Europäische Union. Seit ihrer Gründung war eine tiefere Integration, also die Verlagerung von nationalen Entscheidungen auf die EU-Ebene, die maßgebliche Strategie gewesen. „Weniger EU“ stand – zumindest für viele politische Entscheidungsträger – nicht zur Debatte. Das Referendum der Briten war das klare Signal dafür, dass mehr und mehr Menschen diese Art der europäischen Integration und Kooperation nicht unterstützen – auch wenn sie noch in der Minderheit sind. 68 Prozent der EU-Bevölkerung würde in einem Referendum ihres Landes dafür stimmen, in der EU zu bleiben. Auch viele ehemalige Brexit-Befürworter bereuen inzwischen ihre Wahl.
Kein Garant für Zufriedenheit
Die EU ist als Friedensprojekt angelegt, war aber nie ein Garant für Zufriedenheit. Der Erfolg nationalistischer Parteien in der EU ist auch ein Symptom des Konkurrenzkampfes zwischen ihren Mitgliedstaaten. Dieser Kampf entstammt überwiegend dem Neid von wirtschaftlich schwächeren auf wirtschaftlich stärkere Staaten.
Die Globalisierung hat nicht nur Gewinner produziert, sondern sorgt auch für Frust und Enttäuschung. Das verschärft den Wettbewerb zwischen den Ländern. Parteien wie die AfD in Deutschland und der Front National in Frankreich nehmen diesen Frust auf und machen ihn mit dem Rückenwind zunehmender Wählerstimmen politisch relevant.
Heute empfinden nur noch 55 Prozent der EU-Bürger die Globalisierung als Chance, 45 Prozent sehen sie als Bedrohung. Dabei sind Globalisierung und EU nicht ohne einander zu denken. Der für die Menschen spürbare Kern der EU ist die Reise-, Waren- und Niederlassungsfreiheit. Diese Art der Kooperation funktioniert nicht ohne Regeln wie beispielsweise gemeinsame Qualitätsstandards. Der Preis, den die europäischen Institutionen dafür zahlen, ist Kritik an Verordnungen wie jener zur Gurkenkrümmung.
Großer Zankapfel: die Wirtschaftspolitik
Als „Konkurrenz“ definiert Wikipedia das Streben von zwei Akteuren nach einem Ziel. Im Kapitalismus ist dieses Ziel der Wohlstand. Den zu mehren ist unter anderem eine Aufgabe der Politik. Per Mandat sind die Politiker aber daran gebunden, ihrer Bevölkerung zu dienen – nicht der EU.
So ist die EU zwar als Partnerschaftsprojekt angelegt, was in vielen Bereichen auch gut funktioniert: zum Beispiel als Garant für den Frieden innerhalb Europas, den die EU seit ihrer Gründung sichert. Kollidieren aber nationale – und vor allem wirtschaftspolitische – Interessen mit denen der EU, geben sich die Staaten selbst Vorrang.
Die EU hat bislang wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen ihren Mitgliedstaaten nicht beseitigen können. Daran hat auch die gemeinsame Währung nichts geändert. Der Euro verschleiert Unterschiede, aber er schafft sie nicht ab. Die Deutsche Mark wäre heute weitaus stärker als die italienische Lira.
Deutschland – wirtschaftlich stark und oft kritisiert
Konkret zeigt sich dieses Ungleichgewicht auch an den Exportüberschüssen, für die Deutschland immer wieder kritisiert wird. So führte Deutschland im Jahr 2015 Güter im Wert von 103 Milliarden Euro nach Frankreich aus und kaufte für 67 Milliarden Euro in Frankreich ein. Auf lange Sicht führt das zur Verschuldung der französischen Seite. Der Vorwurf, den vor allem die wirtschaftlich schwächeren EU-Südstaaten machen, lautet deshalb, dass Deutschland auf Kosten anderer Länder vom freien Handel profitiere.
Deutschlands heutige wirtschaftliche Situation ist jedoch auf gestrige Einbußen zurückzuführen. Deutschen Politikern könnte man vorwerfen, dass dieses Argument zu selten angebracht wird – denn teilweise nehmen andere EU-Länder eine ähnliche Entwicklung wie sie Deutschland im Rahmen der Agenda 2010 vollzogen hat.
Damals sind die Arbeitskosten so stark gesunken, dass die Produktion in Deutschland verhältnismäßig günstig und damit extrem wettbewerbsfähig wurde. Für die deutschen Arbeitnehmer war der saure Apfel, in den sie beißen mussten, ein relativ niedriger Lohn. Von der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit zehrt Deutschland heute noch – und muss sich den Vorwurf der EU-Kommission anhören, den europäischen Markt mit billigen Produkten zu überschwemmen.
Viele Länder haben die gleiche Anpassung noch vor sich oder erleben sie gerade, darunter Griechenland. Viele Jahre leistete sich Griechenland das teuerste Rentensystem in der EU. Gerade ändert sich das massiv, denn die griechische Regierung muss harte Sparmaßnahmen durchsetzen. Das betrifft die Menschen unmittelbar, sodass sie in ihrer Wahrnehmung nicht von der EU profitieren. In den Medien ist dann von „Globalisierungsverlierern“ die Rede.
Konkurrierende Auffassungen auch in anderen Bereichen
In Konkurrenz zueinander stehen verschiedene EU-Länder aber nicht nur in der Wirtschaftspolitik. Vor allem bei der Frage der Einwanderung spricht Europa nicht mit einer Stimme. Während Konsens darin besteht, Bürgerkriegsflüchtlingen Schutz zu bieten, lehnen viele eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik als solche ab: laut Umfragen etwa 94 Prozent der Griechen und 67 Prozent der Deutschen. Dass Angela Merkel als Architektin des Flüchtlingspakts mit der Türkei gilt und gleichzeitig als Bevormunderin, die Einfluss auf nationale Fragen nehmen will, ist daran nicht ganz unschuldig.
Nicht zuletzt liegt wachsende EU-Skepsis auch daran, dass einzelne Länder als große Konkurrenten wahrgenommen werden, von denen sich andere erdrückt fühlen. Erstmals in ihrer Geschichte ist die EU dadurch ernsthaft gefährdet, denn heute gibt es politische Angebote, diesem Frust eine – wenn auch irrationale – Stimme zu geben.