Generation Z oder Kroatiens Zukunft
Wie die nächsten Jahrzehnte in dem demokratischen Verfassungsstaat entlang der Adria sich gestalten lassen, hängt insbesondere von den jüngeren Jahrgängen ab. Aber gerade sie erhalten nur wenig Gehör.
Als jüngstes Mitglied der Europäischen Union (EU) entwickelte sich Kroatien nach dem EU-Beitritt 2013 weitgehend: Der Lebensstandard stieg spürbar, ebenso die Gehälter und die Menschen reisen öfter als zuvor – auch dank Investitionen der EU und Programmen wie Erasmus. Dennoch erreichte die Wahlbeteiligung an den Europawahlen im Juni 2024 mit 21 Prozent einen historischen Tiefstand. Bei den EU-Wahlen 2019 beteiligten sich nur 18 Prozent der Wahlberechtigten im Alter von 18 bis 24 Jahren. Es stellen sich deshalb zwangsläufig die Fragen: Wie denken junge Menschen heute über die EU und die Europawahlen in Kroatien? Welche Probleme und Hoffnungen prägen ihren Alltag?
Die Generation der 18- bis 30-jährigen Kroatinnen und Kroaten erlebte einen nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung und die zunehmende Mobilität nach dem EU-Beitritt Kroatiens. Bildung, Reisen und gute Infrastruktur sind für mehr Menschen greifbar geworden. Zudem profitiert der Tourismus vom Beitritt zum grenzfreien Schengen-Raum und der Euroeinführung 2023.
Die promovierte Philologin Lana Mayer aus Slawonien, der sogenannten Kornkammer im Osten Kroatiens, sieht neben vielen Vorteilen eine negative Entwicklung seit dem EU-Beitritt: „Vor dem Beitritt, in der Zeit der Verhandlungen, da hat sich Kroatien bemüht und es war eine positive Zeit. Man hat positive Änderungen gesehen, vor allem im Sinne der Offenheit der Gesellschaft. Und nach dem Beitritt – was auch mit der Finanzkrise und dem Rechtsruck in Europa zusammenhängen kann – sind wir gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch weniger offen geworden.“ Mayer verfügt über eine breite Erfahrung im zivilgesellschaftlichen Bereich in Kroatien und engagierte sich u. a. für das Europahaus Vukovar in Vukovar an der Grenze zu Serbien, das während des Kroatienkriegs 1991–1995 das am stärksten umkämpfte Gebiet war. Heute leitet sie das Informationszentrum EUROPE DIRECT Stuttgart.
Tourismus top, Wohnungsmarkt flop
Aus Lana Mayers Sicht könnte die Partizipation der Jugendlichen in Kroatien erhöht werden, indem „Schülervertretungen und Jugendräte auf kommunaler Ebene gestärkt werden“. Hierbei sei es wichtig, dass die Jugendräte „etwas zu sagen haben, dass ihre Meinung berücksichtigt wird und sie nicht nur pro forma“ beteiligt seien.
Junge Menschen in Kroatien sehen sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert: Ungewisse Berufsperspektiven und eine schlechte Wohnungssituation bereiten ihnen Sorgen. Ähnlich wie Italien und Spanien gehört Kroatien zu den Ländern, in denen junge Menschen am spätesten aus dem Elternhaus ausziehen: Mit fast 32 Jahren im Vergleich zu 24 in Deutschland. Da Kroatien ein vergleichsweise zentralisiertes politisches System aufweist, ziehen Bildungs- und Berufschancen junge Menschen in die größeren Städte und touristisch attraktiven Regionen. Dies führt zu einer hohen Nachfrage nach Wohnungen in Städten wie Zagreb und Split. Gleichzeitig werden immer mehr Wohnungen für touristisches Gewerbe angemeldet. Hinzu kommen geopolitische Unsicherheiten und eine hohe Inflation. Interessanterweise versuchten zur Parlamentswahl im April nur wenige Wahlkandidaten, mit Wohnungspolitik um junge Wähler zu werben.
Trotz Superwahljahr wenig Teilhabe
Auch Leo Marić, ein junger Absolvent aus Zagreb, meint: „Die Bedeutung der demokratischen Wahlen an sich ist sehr wichtig für die EU-Bürger. Aber Bürger kleiner Länder wie Kroatien, haben keinen großen Einfluss auf die EU-Politik.“ Kroatien wählt nur zwölf Abgeordnete in das EU-Parlament. Im Vergleich zu größeren Ländern wie Deutschland oder Frankreich fällt die Stimme kroatischer Politiker im EU-Parlament nicht so sehr ins Gewicht. Zudem sind nur zehn Prozent der kroatischen Wahlkandidaten jünger als 30 Jahre.
2024 wurde in Kroatien als „Superwahljahr“ bezeichnet, da in diesem Jahr Wahlen zum Parlament, zum Europäischen Parlament und die Präsidentschaftswahlen stattfinden. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich wenige junge Menschen besonders für die EU-Wahlen begeistern.
Doch es wäre falsch, hier pauschal von Politikverdrossenheit zu sprechen. Neben politischen Parteien engagieren sich junge Menschen in wohltätigen Vereinen – oftmals auf regionaler Ebene. Sie wollen selbst aktiv werden und Einfluss nehmen. Viele haben den Eindruck, dass Politiker aus etablierten Parteien ihre Probleme nicht ernst nehmen. Darunter ist Nina Skočak. Die 26-jährige Politologin und Journalistin aus Zagreb mit Berufserfahrung in Brüssel kandidierte bei den diesjährigen Wahlen. Das Programm ihrer Liste umfasst eine konstruktive Wohnungspolitik sowie eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur. Der breiten Öffentlichkeit war Skočak zuvor als Influencerin bereits bekannt. „Ich wünsche mir, dass die Menschen mehr informiert werden. Wenn ich einige Informationen zu Europa über die sozialen Medien teile, sehe ich, dass das für sie interessant sein kann. Aber ich sehe auch, dass sie davon nicht gehört haben, da sie diese Informationen nirgendwo erfahren können“, meint Nina Skočak.
Kaum berücksichtigt
Mit „Generation Z“ beschreibt die Soziologie verallgemeinernd die Menschen der Geburtenjahrgänge von 1995 bis 2010. Skočaks „Gen Z“-Liste versammelt junge Menschen aus unterschiedlichen Teilen Kroatiens im Alter zwischen 19 und 30 Jahren. Ihre Motivation: Deren Stimmen in Kroatien im Europäischen Parlament zu vertreten. In Bezug auf junge Menschen werde „nicht genug gemacht und wir sehen, dass die Mehrheit der Politiken aus der Perspektive älterer Politiker kommt und die Perspektive der Jugend fehlt“, beschreibt die junge Frau ihren Ansporn. Da Kroatien insgesamt aber nur zwölf Abgeordnete ins EU-Parlament delegieren kann, konnte die „Gen Z“-Liste mit ihren 4,06 Prozent nicht berücksichtigt werden.
Dass gerade die Anliegen und auch die Kritik von jungen Menschen wie Leo Marić mehr gehört werden, soll allen Seiten zugutekommen. Denn die kroatische gehört zu den rasant alternden Bevölkerungen. Fast ein Drittel ist älter als 65. Hinzu kommt die Auswanderung junger, gebildeter Menschen auf der Suche nach besseren Berufsaussichten im Ausland. Eine konstruktive Wohnungspolitik und ernsthafte Herangehensweise in diesem Bereich können möglicherweise bewirken, dass sich mehr junge Menschen entscheiden, in Kroatien zu bleiben. Denn die junge Generation von heute sind als Bürger die Wähler und Steuerzahler von morgen.