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„Kultur und Begegnung sind wichtiger als Co-Working“

Von Yves Bellinghausen / 17. April 2020
picture alliance / Caro | Waechter

Seit Jahren kämpft Frederik Fischer dafür, in Deutschland KoDörfer zu errichten, die die Vorteile von Stadt und Land vereinen sollen. Ende 2018 erklärte er sagwas, was genau es damit auf sich hat. Seitdem hat sich viel getan.

Wie alles begann: https://sagwas.net/deins-seins-meins/

Sagwas: 2019 sind Sie und 19 weitere „Digitalarbeiter“ für sechs Monate in ein Pilot-KoDorf in das brandenburgische Wittenberge gezogen. Wie ist es Ihnen dort ergangen?

Frederik Fischer: Eine zentrale Erkenntnis war, dass Kultur als Brücke zwischen neuen und alten Bewohnern viel wichtiger ist als Co-working. Erst als vier Pioniere einen Ladenleerstand reaktivierten und das ehemalige Geschäft als Kulturort und Begegnungsstätte neu erfanden, sind wir in Wittenberge und für die Wittenberger richtig angekommen. Unser sehr schön eingerichteter Co-workingspace war für die Community der Pioniere und deren Netzwerke ein wichtiger Ort. Von den Einheimischen hingegen wurde er kaum genutzt. 

Wann wird die Pilotphase der KoDorf-Idee abgeschlossen sein?

Am weitesten sind wir mit unserem KoDorf in Wiesenburg, das liegt ebenfalls in Brandenburg. Dort gibt es ein konkretes Grundstück, auf dem wir unsere KoDorf-Siedlung errichten wollen. Wir haben damit bereits ein Planungsbüro beauftragt, aber die Baugenehmigung ist ein langer Prozess, in den rund 40 Behörden involviert sind. Nach derzeitigem Stand müssen wir aber nicht mit Problemen rechnen. Im Laufe des Jahres 2020 hoffen wir, loslegen zu können. Der Aufbau des KoDorfes würde dann rund anderthalb Jahre dauern.

Es sind aber auch schon andere KoDörfer in Planung.

Richtig, in Baden-Württemberg, Hessen und NRW wollen wir weitere KoDörfer errichten. Außerdem starten wir 2020 auch in NRW und in Hessen einen „Summer of Pioneers“, analog zu unserem erfolgreichen Pilotprojekt in Wittenberge. 

Wie viele KoDörfer sollen es am Ende werden?

Nach oben hin sind wir offen. Solange es Interesse gibt, wollen wir dem auch nachkommen.

Eigentlich arbeiten Sie als Journalist – können und wollen Sie mit den KoDörfern auch Geld verdienen?

Das tue ich bereits zunehmend. Das KoDorf und der „Summer of Pioneers“ sind in den letzten Monaten schrittweise zu meinem Hauptjob geworden. In Zukunft wird es aber die große Herausforderung sein, nicht nur mich zu finanzieren, sondern zugleich ein kleines Team, das das Projekt voranbringt. Investoren wollen wir bewusst nicht mit ins Projekt holen. Das macht die Sache natürlich schwerer, aber auch selbstbestimmter. 

An wen richtet sich das Angebot der KoDörfer heute?

Was das Alter betrifft, sprechen wir eine breite Zielgruppe an. Klar, die meisten, die an dem Projekt interessiert sind, arbeiten in irgendeiner Weise im Internet. Und ein gemeinsamer Nenner ist auch, dass fast alle Lust haben, zu gestalten. Also, hier meldet sich niemand, um einfach nur an Wohnraum zu kommen. Andererseits muss man bei uns auch nicht direkt selbst seinen Dachstuhl ausbauen. Wir verstehen uns da als Dienstleister, der das Haus fertigbaut. Das kleinste unserer drei Modelle wird bei 135.000 Euro veranschlagt. Darin inbegriffen sind aber nicht nur die eigenen vier Wände, sondern auch das Miteigentum an den Gemeinschaftsflächen und -gebäuden.

Wie viele Bewerber kommen denn auf einen freien Platz?

Wir sind momentan zu zwei Dritteln ausgebucht. Es gibt also noch freie Bauplätze für Interessierte. Wir verlangen eine gewisse Risikobereitschaft von unseren Mitstreitern. Zum Beispiel müssen diejenigen, die einziehen wollen, 1.500 Euro für den Beitritt in die Genossenschaft und 3.300 Euro für die Projektentwicklung bezahlen. Und dann dauert es ja auch nochmal mindestens zwei Jahre, bis die Häuser stehen.

Wie wählen Sie die Leute aus, die einziehen dürfen?
Die ersten elf Bewerber haben noch wir Initiatoren selbst ausgewählt; mittlerweile gibt es einen einheitlichen Prozess, in den die gesamte Gemeinschaft involviert ist. Es gibt derzeit alle zwei Monate ein Treffen in Berlin, bei dem wir uns beraten. Zu diesem Planungstreffen laden wir auch Interessenten ein. Wenn die danach weiterhin involviert bleiben wollen, füllen sie einen Fragebogen aus und wenn es dann von niemandem ein Veto gibt, werden die Interessenten bei uns aufgenommen.

Anfangs war das Thema meine Leidenschaft. Inzwischen ist auch meine Frau zum KoDorf-Fan geworden. – Frederik Fischer

Ein Interessent muss denen, die schon einen Platz haben, also sympathisch sein?

Große Sympathien sind jetzt nicht direkt gefragt, aber starke Antipathien wären zum Beispiel ein Ausschlussgrund. Es ist ja auch ein großer Schritt, den man zusammen gehen möchte. Schlecht wäre es zum Beispiel, wenn Leute einen starken Problemfokus haben und sehr negativ sind.

Ist es schon vorgekommen, dass Sie jemanden nicht aufgenommen haben?

Ein, zwei Mal. In den meisten Fällen funktioniert es.

Sie wollen in zwei Jahren endgültig umziehen – was sagt denn Ihre Familie dazu?

Anfangs war das Thema ehrlicherweise schon eher meine Leidenschaft. Meine Frau ist inzwischen aber auch zum KoDorf-Fan geworden. Bei meiner Tochter bin ich mir unsicher. Sie ist erst zehn Monate und drückt sich noch etwas unverständlich aus. (lacht)

Ihre Tochter wird irgendwann zur Schule gehen müssen. Spielt diese Überlegung für Ihr Projekt eine Rolle?

Das ist ein Grund, warum wir KoDörfer immer in der Nähe von Gemeinden errichten, die über Schulen verfügen.

Und wie wird sich Ihr Arbeitsleben weiter verändern?

Im Moment bin ich in Deutschland sehr viel unterwegs, aber perspektivisch werde ich meine Mobilität stark einschränken müssen. Das ist aber auch ein Aspekt, über den ich mich freue.

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