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ProStudieren am (Existenz-)Limit

Von Sophia Förtsch / 29. Dezember 2022
picture alliance / photothek | Ute Grabowsky

Während des Studiums nicht in Geld zu schwimmen, ist nichts Neues. Doch deswegen zu verarmen, darf nicht sein, und trotzdem passiert es noch heute.

Stell dir vor, du hast einen Top-1er-Abiturschnitt, kommst vom Land, aus einer Arbeiterfamilie und willst in einer Großstadt wie Berlin ein geisteswissenschaftliches Studium, zum Beispiel Kunstgeschichte, absolvieren. Du wurdest an der Uni angenommen. Dein BAföG-Antrag läuft gerade und ein kleines WG-Zimmer hast du glücklicherweise auch gefunden. Bleibt die Frage: Wie finanzierst du dir dein Studium die nächsten drei bis sechs Jahre? Das BAföG reicht nicht mal für die 650-Euro-Miete, deine Eltern können dich nicht mit hohen Summen unterstützen, aber von irgendetwas musst du ja schließlich leben, oder?

Was hier wie eine schlechte „Point of View“-Idee (POV) für ein TikTok-Video klingt, ist für die meisten Studis in Deutschland bitterer Alltag. Bringt ein Studium ein Armutsrisiko mit sich? Definitiv! Da spreche ich leider aus eigenen Erfahrungen.

Familiengebundenes BAföG

In Deutschland waren im Wintersemester 2021/2022 rund 2,95 Millionen Studierende immatrikuliert. Mehr als jede(r) Dritte davon war im vergangenen Jahr armutsgefährdet. Ein Risiko, das man mit der Aufnahme eines Studiums automatisch in Kauf nimmt.

Zu meiner Studienzeit 2013 bis 2019 waren Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise und Inflation noch kein Thema. Allerdings hatte ich als Dorf- und Arbeiterkind ohnehin schon mehr finanzielle Hürden zu meistern und lebte dabei immer am Existenzminimum. Viel Geld hatte ich nie zur Verfügung. Ich suchte mir während des Bachelorstudiums einen Nebenjob, der aber nicht viel einbrachte. Dazu kam, dass ich aufgrund des BAföG-Bezugs unbedingt in der Regelstudienzeit von sechs Semestern bleiben musste. Machte in Summe 25 Semesterstunden pro Woche plus 20 Wochenstunden bei der Arbeit. Ich hatte eine Über-40-Stunden-Woche und musste insgesamt mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen.

Große Anschaffungen konnte ich mir nie leisten. Ich wohnte zunächst am Rand von Berlin, musste aber nach einem Jahr umziehen. Erneut in einer WG konnte ich wieder relativ günstig wohnen. Allerdings schloss mein älterer Bruder sein Studium ab, während ich noch nicht fertig war, weshalb mir das BAföG enorm gekürzt wurde, sodass ich beim Masterstudium gar keinen Antrag mehr stellte. Die Aussicht, staatliche Unterstützung zu erhalten, war einfach zu schlecht. Ich hatte im Master nur noch die Option, mich durch eigene Arbeit finanziell über Wasser zu halten. Ich musste also mehr arbeiten und mein Studium verlängerte sich entsprechend: Aus vier Semestern wurden sechs. Zwischenzeitlich bin ich noch einmal umgezogen – in eine Einzimmerwohnung in einem Sozialwohnungsbau. Mehr als die Hälfte meines Einkommens ging für Wohnkosten drauf.

Studium für die Elite

Mein nur knapp vierstelliges Nettohaushaltseinkommen lag während meines Studiums unter der Armutsgrenze. Obwohl ich gearbeitet habe, zeitweise BAföG bezog und von meinen Eltern finanziell unterstützt wurde. Umso erschreckender: Nach dem von der EU gesetzten Standard (EU-SILC) liegt die Armutsgrenze bei 60 Prozent des mittleren, bedarfsgewichteten Einkommens der Bevölkerung in Privathaushalten. Für einen Einpersonenhaushalt wie mich lag dieser Wert 2021 bei etwa 1.150 Euro monatlich. Per Definition war ich offiziell also wirklich: arm.

Die Lebensbedingungen für Studierende sind immer noch mehr als schlecht. Dennoch entscheiden sich jedes Semester Millionen von jungen Menschen, ein Studium aufzunehmen und mindestens drei Jahre lang mit sehr wenig Geld auszukommen. Was das Wohnen anging, war ich eine der glücklicheren Studis: Ich musste nie mehr als 400 Euro für mein Zimmer bezahlen. Schaut man sich die aktuellen Mietpreise für beispielsweise ein 15 Quadratmeter kleines Zimmer in Berlin an, dann wird einem schlecht: 700 Euro oder mehr!? Und nicht mal in guter Lage! Wie soll ein junger Mensch ohne BAföG-Höchstsatz und/ oder einen entsprechenden finanziellen Background sein Studium ordentlich stemmen? Man hat den Eindruck, dass Studieren immer elitärer wird und nur noch Nachwuchs aus reichem Elternhaus möglich ist. Denn, mal ehrlich: Bei 40 Wochenstunden (+/-) Studium und Arbeit leidet immer eine Seite.

Sagen, was ist

Der BAföG-Satz reicht bei den meisten kaum zum Leben. Beim Einkaufen landet das Günstigste vom Günstigen im Wagen. Jeder Cent wird dreimal umgedreht. Bücher für’s Studium werden entweder gebraucht angeschafft oder in der Bibliothek ausgeliehen. Konzerte, Partys, Urlaub oder andere größere Ausgaben sind nicht wirklich drin. Oft ist es nicht nur ein Job, der das Studium finanziert, sondern zwei oder sogar drei. Durch die Erwerbsarbeit verlängert sich die Studienzeit. Ein Teufelskreis! Wer, warum auch immer, seine Regelstudienzeit überschreitet, verliert seinen BAföG-Anspruch. Und dann? Muss man noch mehr arbeiten. Studien zufolge, beendeten im Prüfungsjahr 2020 nur 21,1 Prozent der Absolventen in einem Bachelor-Studiengang ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit. Nicht einmal ein Viertel also.

Ich habe mich damals mit meiner Situation irgendwie arrangiert. Arm habe ich mich nie gefühlt. Ich bin halt mit weniger ausgekommen, weil es nicht anders ging und ich von zuhause sowieso keinen Luxus gewohnt war. Ich habe mich glücklich geschätzt, war sogar stolz, dass ich Studieren kann und darf, und habe mich größtenteils dafür sogar selbst finanziert.

Natürlich startet man im schlimmsten Fall am Ende seines Studiums mit einem Berg an Schulden ins Arbeitsleben. Aber jetzt, drei Jahre nachdem ich meinen Master abgeschlossen habe, geht es mir finanziell besser als während des Studiums. Ein Happy End? Naja, das Armutsrisiko habe ich dafür in Kauf nehmen müssen.



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