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DebatteBraucht es für einen investigativen Journalismus zusätzliche Recherche?

Von Larissa Menne / 29. April 2022
picture alliance / Bildagentur-online/Blend Images | Blend Images/JGI/Jamie Grill

Tagtäglich sehen wir in den sozialen Netzwerken Bilder und Videos, ohne deren Quellen und Wahrheitsgehalt zu kennen. Für die Überprüfung medialer Informationen gibt es digitale Recherchenetzwerke, die auch für den Journalismus eine wichtige Rolle spielen.

Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine werden täglich Fotos von Toten und Verletzten, zerstörten Gebäuden, aber auch Propagandavideos auf Social-Media-Kanälen geteilt. Für User*innen ist es nicht nur in besonders chaotischen Zeiten nahezu unmöglich, die Herkunft der Bilder nachzuvollziehen, aber auch Journalist*innen müssen die Quellen von Social-Media-Beiträgen umfänglich prüfen.

Aufgrund der Vielzahl und Komplexität der Social-Media-Beiträge kontrollieren zusätzlich zu den Redakteur*innen häufig sogenannte Faktenprüfer*innen die Quellen von Bildern und Videos, oft mit frei zugänglichen Daten im Netz. Der Fachbegriff für diese Analysetechnik: „Open Source Intelligence“. Dabei rückt nicht der Inhalt, sondern die Quelle von Video oder Foto in den Fokus. Um festzustellen, ob sich hinter dem Urheber eine Nachrichtenagentur, ein zertifiziertes Profil oder eine Privatperson befindet.

Verifizierung anhand von Street View und Sonnenstand

Mithilfe von Street View-Daten kann der Aufnahmeort verifiziert werden. Zur Überprüfung des Aufnahmezeitpunktes wird das dortige Wetter mit demjenigen des Beitrags verglichen oder mithilfe von Wetterdatenbanken kontrolliert, ob das Abgebildete in dieser Kameraperspektive zum örtlichen Sonnenstand der Aufnahme passt. Die sogenannte Bilderrückwärtssuche ermöglicht festzustellen, ob die Inhalte bereits in einem anderen Zusammenhang veröffentlicht wurden. Bei Videos verifizieren professionelle Faktenprüfer*innen in journalistischen Kontexten auch, ob Video und Tonspur zusammenpassen. Darüber hinaus werden Kolleg*innen aus Regionen, aus denen das Material mutmaßlich stammt, um Hilfe gebeten. Auch sonst arbeiten die Faktenprüfer*innen häufig mit Kolleg*innen aus anderen Redaktionen zusammen und gleichen ihre Rechercheergebnisse ab oder tauschen Informationen aus.

Professionelle Recherche ist Teamarbeit

Für besonders komplexe journalistische Recherchen gibt es digitale Recherchenetzwerke, um beispielsweise internationale Projekte leichter zu bearbeiten.

Ein solches nationales Netzwerk ist der seit 2014 bestehende Rechercheverbund zwischen NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Neben Kosteneinsparungen ist das Ziel, ausführliche, globale und gleichzeitig aktuelle Investigativ-Recherchen zu ermöglichen. Es handelt sich um eine anlass- und themenbezogene Zusammenarbeit, aber auch unabhängig von einer konkreten Recherche tauschen sich die Kolleg*innen der Investigativ-Ressorts der drei Kooperationspartner regelmäßig aus. Personell besteht der Verbund der drei Medienpartner aus Kolleg*innen unterschiedlicher Bereiche wie Fernsehen, Hörfunk oder Online, wobei es keine gemeinsame Redaktion gibt. Diese Kooperation, bei der die Rechercheergebnisse aller beteiligter Unternehmen in verschiedenen Formaten veröffentlicht werden, ist ein bemerkenswertes Novum in der deutschen Medienlandschaft.

Ein digitales Recherchenetzwerk auf internationaler Ebene ist das US-amerikanische „International Consortium of Investigative Journalists“. Als weltweit aktive Non-Profit-Organisation, welche aus 280 Journalist*innen aus über einhundert Ländern besteht, möchte die Initiative ein globales Netzwerk aus Journalist*innen und Leser*innen kreieren und Letztere motivieren, sich für Themen mit weltweiter Bedeutung wie Machtmissbrauch oder Korruption zu beschäftigen, um für mehr Durchblick zu sorgen und Zusammenhänge zu begreifen. Einer der bekanntesten Erfolge war die Aufdeckung des Finanzskandals der „Panama Papers“.

Ein weiteres internationales, investigatives Recherchenetzwerk ist das 2014 von dem britischen Netzaktivisten Eliot Higgins gegründete Bellingcat mit Mitarbeiter*innen aus mehr als zwanzig Ländern. Bellingcat hat sich in Themenbereichen wie Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Finanzkriminalität vor allem auf den Faktencheck mithilfe der beschriebenen „Open Source Intelligence“ spezialisiert. Zu den bedeutendsten Veröffentlichungen zählen Recherchen zu Kriegsverbrechen in Syrien und Libyen sowie zum Absturz der Passagiermaschine MH-17 in der Ukraine im Jahr 2014.

Kritik an digitalen Recherchenetzwerken

Bellingcat hat mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten. 2015 den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis mit der Begründung, dass es durch eine „weltweite Vernetzung öffentlich zugänglicher Quellen und der kompetenten und verantwortungsvolle Auswertung beste journalistische Aufklärung auf dem Schlachtfeld moderner Propaganda“ sei.

Trotz Auszeichnungen und viel Lob erfahren digitale Recherchenetzwerke auch deutliche Kritik. So wurde Bellingcat zuletzt vorgeworfen, auf Seite westlicher Regierungen und gegen die Regierungen von Syrien und Russland zu recherchieren, da Higgings von 2016 bis 2019 für den Kreml-kritischen US-Thinktank Atlantic Council tätig war. Weiter wird beanstandet, dass die Organisation, die sich selbst als „Geheimdienst des Volkes“ bezeichnet, mit Ex-Agenten oder britischen Nachrichtendiensten in Kontakt stehe. Ein Bellingcat-Mitarbeiter gab bereits zu, Daten auf einem virtuellen Markt gekauft zu haben, was die Glaubwürdigkeit der Organisation in Zweifel zog.

Auch dem Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wurden Wettbewerbsverzerrung und fehlende Unabhängigkeit vorgeworfen. Digitale Recherchenetzwerke sind aus Sicht vieler in den letzten Jahren trotzdem zu einer wichtigen Stütze des investigativen Journalismus geworden. Offen bleibt allerdings, ob das Prinzip Faktencheck als Mittel zur angebrachten Realitätswahrnehmung ausreicht.

HINWEIS: Zu Fake News bieten wir auch ein Webinar an https://sagwas.net/event/stimmt-das-fake-news-entlarven-2/



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