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ProMit Charisma zum Erfolg: Sei Dompteur, kein Floh

Von Julia Berghofer / 30. Oktober 2015
picture alliance / BREUEL-BILD | BREUEL-BILD/PuR

Wer Charisma hat, dem ist der Erfolg so gut wie sicher. Charismatiker überzeugen auch ohne außergewöhnliches Talent, sie ziehen uns mit und wir verzeihen ihnen auch grobe Fehler. Wer kann, sollte sich eine gehörige Portion Charisma zulegen!

Am 28. April dieses Jahres wurde die Gesundheit der Journalistin Sandra Maischberger auf eine harte Probe gestellt. Helmut Schmidt war zu Besuch in ihrer Talkshow und zog vor jeder Antwort tief an der Zigarette. Dass die Moderatorin nach über einer Stunde Sendezeit noch nicht entkräftet vom Stuhl gesunken war, ist wohl nur der hervorragenden Studiobelüftung zu verdanken. Ihr Angebot, Schmidt könne es doch mal mit einer E-Zigarette versuchen, erwiderte der Ex-Kanzler verständnislos: „Warum soll ich so eine Dummheit machen?“

Gregor Gysi, gerade zurückgetretener Fraktionschef der Linken, erfrischte die Trägheit des Bundestags regelmäßig mit Seitenhieben gegen parteifremde Politiker inklusive der Bundeskanzlerin, wenn diese während seiner Reden mal wieder zu viel im Plenum „herumturnte“. Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn, der sich herausnimmt, was sich seine Kollegen besser verkneifen, den „Dompteur im Flohzirkus“.

Wie aber kommt es, dass rhetorische Rundumschläge plötzlich sympathisch sind und Kettenrauchen einen hohen Unterhaltungswert bekommt? Es liegt weniger an der Kompetenz der Übeltäter als vielmehr an deren Charisma. Denn politischen – und allen anderen – Charismatikern fliegen die Herzen zu: trotz oder gerade wegen rüder Sprüche und dichtem Zigarettendunst.

Die Macht des Charismas

Charismatiker sind deswegen für den Erfolg prädestiniert. Max Weber begründete mit dem Charisma eine der Grundformen legaler Herrschaft. George Duroy avanciert trotz offensichtlicher Talentlosigkeit zum gefeierten Journalisten in Guy de Maupassants „Bel Ami“. In Klaus Manns „Mephisto“ schafft es der in seinem Wesenskern unzulängliche Hendrik Höfgen allein mit seiner betörenden Persönlichkeit bis zum bewunderten Theaterintendanten. Nicht zu vergessen der Brandner Kaspar in Franz von Kobells gleichnamiger Erzählung: Ohne ein Mindestmaß an charismatischer Grundausstattung hätte der gewiefte Greis den Tod wohl nicht dazu gebracht, mit ihm den einen oder anderen Schnaps zu bechern – sodass dieser seinen eigentlichen Auftrag, den Brandner aus dem Leben scheiden zu lassen, glatt vergisst.

Neben der Gabe, mystische Zeitgenossen in Saufgelage zu verwickeln, liegt es den Charismatikern ganz besonders, andere von ihren Ideen zu überzeugen – und wenn jene noch so verrückt klingen. Ihnen traut man so waghalsige Unterfangen wie die Erfindung der Fließbandproduktion oder die Entwicklung des modernen Heimcomputers zu. Wahlweise auch den mexikanischen Befreiungskampf oder die Erlösung vom irdischen Dasein durch freikirchliche Gemeindevorsteher. Im amerikanischen Wahlkampf lassen sich selbst für die abwegigsten Vorstellungen ganze Horden Fähnchen wedelnder Anhänger finden, solange der Kandidat nur das gewisse Etwas besitzt.

Kein Wunder, dass jeder gerne ein wenig (oder besser noch: möglichst viel) von dieser außergewöhnlichen Ausstrahlung besitzen will. Von dem Talent, andere von der eigenen Person zu überzeugen, ob nun berechtigterweise oder nicht. Wer möchte schon gerne das Klischee des Anti-Charismatikers bedienen, wie es der Prototyp Grenouille in Patrick Süskinds „Das Parfüm“ tut – ausstrahlungsarm bis zur Geruchslosigkeit.

Charisma kann man lernen

Charisma wirkt also als ultimativer Erfolgsmotor. Wer es nicht hat, dem wird es ungleich schwerer fallen, sich gegenüber Konkurrenten und Kontrahenten zu behaupten. Aber es gibt eine gute Nachricht für alle farb- (oder geruchs-)losen Zeitgenossen. Charisma scheint man durchaus erlernen zu können. Zumindest in einem gewissen Umfang. Jay Elliot, der in den 1980ern half, den Konzern Apple aufzubauen, ist überzeugt davon. Deswegen gibt er in seinem Buch „iLeadership“ Tipps, wie man „steveisch“ wird, laut Elliot der Weg zum Erfolg schlechthin. Schließlich schreibt man dem Avantgardisten Steve Jobs Unmengen an Charisma zu – wohl zu Recht, denn als dieser 2011 starb, brach die gesamte Netzgemeinde in kollektives Wehklagen aus.

Auch Claudia Enkelmann, Diplom-Psychologin und Persönlichkeitscoach, glaubt an die Erlernbarkeit einer positiven Ausstrahlung – und das innerhalb kürzester Zeit. „Sie können sich gar nicht vorstellen, was für Veränderungen man schon nach zwei Tagen Training beobachten kann“, sagt sie über die Teilnehmer ihrer Seminare. In ihren Kursen beherzigt sie den Grundsatz „Der Mensch ist ein werdender. Das heißt, es gibt das Potenzial, sich zu entwickeln“.

Ein Paradebeispiel sei nicht nur die Kanzlerin, sondern auch Personen wie Joschka Fischer: „Vom Taxifahrer zum Steinewerfer zum weltweit anerkannten Minister.“ Für den Erfolg sei insbesondere das langfristige Charisma ausschlaggebend. Gleichzeitig sei Charisma aber auch ein Zuschreibungsphänomen, also ein „Versprechen, das einem auch wieder entzogen werden kann“. Zum Beispiel dann, wenn ein charismatischer Amtsinhaber seiner Aufgabe nicht mehr gerecht wird. Ein Selbstläufer ist das Charisma also nicht.

Auch das Netz scheint fest an die Wirkung der besonderen Ausstrahlung zu glauben. Wer partout davon überzeugt ist, sein Charisma steigern zu müssen, kann sich wahlweise mit einer Fülle an mehr oder weniger seriöser Ratgeberliteratur eindecken, sich in Selbsthypnose versuchen, die mysteriöse Macht der Gedanken aktivieren oder die Analogie zu Hund und Katze im eigenen Ich entdecken. Alles im Zeichen des Erfolgs.

Ob Seminare, Selbsterkenntnis oder angeborene Ausstrahlung, ob Typ Yanis Varoufakis oder eher James Dean: Besonders hilfreich ist das Charisma nicht nur, wenn es um den Aufstieg geht, sondern dann, wenn der Abstieg droht, wenn wir Fehler gemacht haben. Denn einem charismatischen Sünder verzeiht man eher als einer blutleeren Persönlichkeit – selbst wenn es sich nicht um kleine Unflätigkeiten, sondern um handfeste Affären handeln sollte.

So überstrahlt das Wesen des längst verstorbenen Franz Josef Strauß noch immer jegliche Skandale zu Lebzeiten. Für Bill Clintons Konzept der Integration von Praktikantinnen in den Arbeitsalltag haben wir ein wohlwollendes Verständnis entwickelt. Selbst Uli Hoeneß‘ maßloses Steuerdebakel entfachte erst ab einem Betrag von über 18 Millionen einen Anflug dezenter Empörung (insgesamt sollen es fast 30 Millionen gewesen sein). Und selbst dann zeigte das ZDF noch im Weichspülgang ein Dokudrama, in dem Hoeneß‘ Weg „vom cleveren Metzgersohn aus Ulm zum weltweit geachteten Fußballer und Fußballmanager“ nachgezeichnet wird.

Aufstieg und Fall eines Patriarchen? Mitnichten. Auf Facebook florieren „Pro Uli“- und „Wir stehen hinter dir“-Seiten mit rührenden Solidaritätsbekundungen, es kursieren Petitionsaufrufe und besorgte Artikel, wie es mit dem FC Bayern nun, da die Leitfigur tragischerweise inhaftiert ist, weitergehen soll. Andere Steuersünder packen die Deutschen da schon weniger in Wattebällchen. Man denke nur an Alice Schwarzers Selbstanzeige im vergangenen Jahr.

Die Erfahrung lehrt also: Wer kann, sollte sich rein präventiv ein Beispiel an Gysi und Co. nehmen. Die Evolution vom Floh zum Dompteur hat nicht nur den Vorteil, dass man nach Belieben Staatschefs zur Räson rufen darf, sondern eröffnet die vielfältigsten Karriereoptionen, auch mit mäßigem Talent. Und am Ende eines erfüllten Lebens als Intendant oder Starreporter steht immer noch die Option, mit dem Tod ein Gläschen zu trinken und nochmal zehn charismatische Jahre rauszuschlagen.



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