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DebatteDer Fortschritt des Feminismus

Von Isabel Stettin / 18. März 2016
picture alliance / dpa | Andreas Arnold

Immer wieder flammt die Feminismus-Debatte auf. Trotz Fortschritten ist die Gleichstellung der Geschlechter im Alltag noch nicht erreicht.

Malu Dreyer, kürzlich im Amt bestätigte SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, wurde einmal gefragt, warum so wenige Menschen Feministen und Feministinnen seien. Das liege wohl daran, dass viele bei Feminismus an „Frauen in lila Klamotten und irgendwelchen komischen Schuhen denken“, antwortete sie. Bei den Landtagswahlen konkurrierte Dreyer mit der CDU-Kandidatin Julia Klöckner.

Dass zwei Frauen heute gegeneinander um ein hohes politisches Amt antreten, ist der Frauenbewegung, ob lila oder nicht, geschuldet. Lange waren Frauen eine Mehrheit, die wie eine Minderheit behandelt wurde. Nach und nach holen die Frauen auf, übernehmen ganz selbstverständlich Führungspositionen, ob mit oder ohne Quote, in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Die Gleichstellung von Mann und Frau ist gesetzlich verankert. In allen Bereichen erreicht ist sie jedoch noch lange nicht. Die Gender-Lücke klafft weiterhin: Vor allem bei der Lohngleichheit besteht Aufholbedarf.

Feminismus in der Theorie

Lange Zeit war in Deutschland von Frauenemanzipation die Rede. Erst 1929 fand der Begriff Feminismus Einzug in den Duden als „Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z. B. der traditionellen Rollenverteilung) und der patriarchalischen Kultur anstrebt“. Feminismus fordert die gleichen Rechte und Chancen für alle Geschlechter.

Die Theorie ist nicht einheitlich und geschlossen, sondern spaltet sich in verschiedene Strömungen. „Feminismus ist eine politische Bewegung, es gibt keine zentrale Instanz oder Institution, die Image-Kampagnen braucht oder sagt: Jetzt machen wir es so“, sagt Antje Schrupp, Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Mitverfasserin von #ausnahmslos, einer Initiative gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus.

Die erste Welle der Frauenbewegung

Die erste Phase der Frauenbewegung ab dem 18. Jahrhundert war beseelt vom Ziel der Französischen Revolution, der Gleichheit aller Menschen und der Aufklärung. „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht“, sagte Louise Otto-Peters, die 1865 mit Auguste Schmidt den Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) gründete.

Ihre Forderungen: freie Wahl der Erwerbsarbeit und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. 1911 gingen Frauen das erste Mal gemeinsam auf die Straße, um für ihr Wahlrecht zu kämpfen. Gesetzlich verankert wurde es in Deutschland erst sieben Jahre später.

Zweite Welle

Begleitet von einer allgemeinen Aufbruchsstimmung im Zuge der Studentenbewegung lebten Frauengruppen in den 1960er Jahren wieder auf. Es ging um das Recht auf Selbstbestimmung, aktives Mitspracherecht in der Politik, den uneingeschränkten Zugang zu allen Berufen und die Abschaffung des Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches, der Abtreibung unter Strafe stellte.

Die Selbstbestimmung über die weibliche Sexualität war zentral. Alltägliche Rollenmuster wurden in Frage gestellt: „Das Persönliche ist politisch“, lautete die Parole. Seit den 1980er Jahren ist die Bewegung immer mehr institutionalisiert worden. Gleichstellungsministerien, Gleichstellungsstellen und Frauenbeauftragte wurden eingesetzt.

Feminismus heute

Der heutige Feminismus ist bunt. Von barbusigen Femen-Aktivistinnen über demonstrative „Slutwalks“ hin zu „One Billion Rising“, einer weltweiten Kampagne für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und für Gleichstellung: Jeder kann auf seine Weise feministisch sein.

Immer wieder kocht das Thema Feminismus wellenartig auf, zuletzt nach den Übergriffen in Köln in der Silvesternacht. Vieles davon spielt sich online ab: Von Netzfeminismus ist die Rede. „Innerhalb kürzester Zeit kann ich mich mit Aktivistinnen hier, aber auch in den USA oder zum Beispiel in Großbritannien verbinden, um gemeinsam Aktionen zu stemmen. Dadurch kann sich eine ganz neue Schlagkraft entwickeln“, sagte Anne Wizorek, Autorin von „Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute“, in einem Interview mit Der Standard.

Macht und Empowerment

Geht es um Feminismus, fallen immer wieder die Begriffe Macht und Empowerment. Die Macht ist zumindest sprachlich gesehen weiblich. Davon abgesehen galten Frau und Macht lange als Widerspruch. „Die Beziehung der modernen Frau zur Macht ist kompliziert“, sagt Rebekka Reinhard, Philosophin und Autorin. „Die moderne Frau ist so mächtig, dass sie fast schon wieder ohnmächtig ist“, meint Reinhard, sie könne so viel, dass hohe Ansprüche an sich selbst und ein „übersteigerter Perfektionismus“ sie beinahe wieder unterjochten, bis zur Selbstverausgabung.

Sheryl Sandberg ist das perfekte Beispiel dafür: Als Geschäftsführerin von Facebook ist sie eine der mächtigsten Frauen der Welt. „Sie ist eine Vertreterin jenes Feminismus, der gegenwärtig am besten in der Mehrheitsgesellschaft ankommt: des neoliberalen. Die Schlagworte sind Leistung, Erfolg, Führungsanspruch“, kommentierte die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie in einem Interview. Wer sich an Sandberg orientiere, der sei natürlich weit entfernt von Frauen, „die alleinerziehenden Müttern in sozialen Brennpunkten helfen“, sagt McRobbie. Für sie ist Folgendes angesichts der verschiedenen Strömungen des Feminismus darum kein Wunder: „Sobald Feministinnen sich treffen, fangen sie an zu streiten.“

#ausnahmlos-Mitverfasserin Antje Schrupp hat einen Wunsch: Sie möchte, „dass gar nicht mehr so viel darüber diskutiert wird, wie der Feminismus ist oder zu sein hat, sondern Inhalte im Vordergrund stehen.“

Lies weiter bei…

Pro | Der privilegierte Feminismus 

Contra | Gefangen in der eigenen Freiheit



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