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DebatteEntscheidungsfindung – real statt digital

Von Camilla Lindner / 4. Dezember 2015
picture alliance / Panther Media | Randolf Berold

Durch die Digitalisierung können und müssen wir mehr Entscheidungen in kürzerer Zeit treffen. Entscheidungscoaches und Ratgeber erfreuen sich am Geschäft mit der „Qual der Wahl“.

Aufstehen, Tee kochen, Zähneputzen, noch kurz telefonieren, eine Email verschicken, zur Arbeit gehen, einkaufen, Sport machen, ins Bett gehen – laut Hirnforschern trifft der Mensch am Tag rund 20.000 Entscheidungen. Das fängt mit banalen Dingen wie beispielsweise Aufstehen an und gewinnt an Komplexität bei schwierigen Entscheidungsfragen, die einen anderen Handlungsablauf initiieren.

Nicht nur Forscher widmen sich dem Thema Entscheidungen. Auch Coaches und Ratgeber erfreuen sich einer steigenden Nachfrage seitens der urbanen Bevölkerung. Die Digitalisierung beschleunigt unseren Alltag und fordert schnellere Entscheidungen. So werden online sekündlich Entscheidungen getroffen. Internetforen, Beratungsvideos, Nutzerkommentare und Online-Bewertungen sollen bei Entscheidungsproblemen helfen – aber nicht immer sind sie das effizienteste Mittel zur Entscheidungsfindung.

Philosophie statt BWL

Tine W. zum Beispiel entschied sich für „analoge“ Hilfe statt für Hilfe aus dem Netz. Sie wuchs in einem Vorort von Berlin auf und begann 2014 ein BWL-Studium in Berlin. Nach dem dritten Semester suchte sie einen Berliner Coach auf. Der Grund: Sie war mit dem Studium und den Kommilitonen alles andere als zufrieden.

„Das Coaching hat mir insofern etwas gebracht, dass ich mit einem komplett anderen Blickwinkel auf meine eigene Situation geschaut habe und mich nicht mehr um die Frage gedreht habe, ob ich das Studium abbrechen oder weitermachen soll“, sagt die 26-Jährige. Nach dem Coaching hat sie sich für den Abbruch des Studiums entschieden und ist zu Philosophie gewechselt – „das wollte ich eigentlich immer machen“, sagt Tine W.

Die Entscheidung, einen Coach um Rat zu fragen, bereut Tine W. nicht. „Das Training war das Beste, was ich in meiner damaligen Lage machen konnte“, sagt sie heute. Coachings im Internet seien zwar günstiger, aber der direkte Kontakt habe ihr viel geholfen, meint Tine W.

Warum Tine W. statt mit einem Coach nicht mit Freunden oder ihren Eltern über ihr Entscheidungsdilemma gesprochen hat, erklärt sie so: „Meine Eltern wollten, dass ich etwas Nützliches studiere, deshalb habe ich mich damals für BWL entschieden.“ Mit ihren Kommilitonen habe sie auch nicht wirklich über ihr Problem reden können. „Sie haben mich nicht verstanden. Die wussten nicht, was Philosophie bringen soll“, sagt Tine W.

Das Entscheiden ist an sich ein komplexer Vorgang. Laut dem Psychologen Lars Schwabe von der Universität Hamburg sieht das Ideal der rationalen Entscheidung vor, dass sich der Mensch nach dem höchsten Erwartungswert richtet. Dieser setzt sich aus der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten, gewünschten oder unerwünschten Konsequenz und dem Wert dieser Konsequenz zusammen.

Entscheidung als Form von Kommunikation

Wichtig und oft vergessen beim Entscheidungsprozess ist auch das Umfeld, in dem man sich bewegt. Laut Soziologen sind Entscheidungen eine Form der Kommunikation, während das Handeln von den kommunizierten Entscheidungen abweichen kann.

Im Fall von Tine W. fiel die Entscheidung des Studienwechsels nicht unbedingt aus rationalen Gründen. Vielmehr muss die getroffene Entscheidung als rational erscheinen, um auch als legitim gelten zu können. Denn erst dann können Akteure wie Tine W. Rechenschaft über ihr Tun ablegen und somit ihre Geschichte für sich und andere Menschen nachvollziehbar machen – ob im Internet oder nicht, das Prinzip ist stets dasselbe.

Wäre Tine W. in ihrem Heimatdorf geblieben statt nach Berlin zu ziehen, hätte sie sich vielleicht nicht für ein Entscheidungstraining entschieden. Denn in einem Dorf werden andere Dinge von ihr erwartet als in der Stadt, die wiederum ihren Entscheidungsprozess beeinflussen.

Coaching für eine andere Sichtweise

Auch Coach Elmar Willnauer bemerkt ein steigendes Interesse an Entscheidungsberatung. „Durch das vereinfachte Suchen im Internet bekomme ich mehr Anfragen als früher“, so Willnauer. Er versucht seit Jahren, seinen Trainees zu anderen Sichtweisen auf das Problem der Entscheidungsfindung zu verhelfen.

Seine Double-T-Methode wurde sogar ausgezeichnet. „Ich bringe durch diese Methode rationales Denken sowie emotionales Fühlen und Erleben zusammen. Beides, das Rationale und Emotionale, benötigen wir, um zu einer größtmöglichen Entscheidungsfähigkeit zu gelangen“, so Willnauer.

Neben Erwachsenen kommen auch viele junge Menschen zu ihm. „Beziehungsfragen werden bei mir nicht besprochen, da suchen sich die jungen Erwachsenen immer andere Ansprechpartner wie ihre Freunde. Aber viele können sich nicht entschieden, was sie studieren wollen.“ Die Entscheidung werde bei ihm immer nach dem Coaching zu Hause gefällt und nicht im Seminar. Denn am Ende könne und müsse jeder einzelne für sich selbst entscheiden, was er oder sie letztendlich will oder nicht will.

Maschine vs. Mensch

Warum persönliche Entscheidungscoachings trotz Internetvideos, Ratgebern und Online-Foren vor allen Dingen in den Städten große Beliebtheit genießen, erklärt sich Lars Schwabe unter anderem mit der Anwesenheit menschlichen Kontaktes.

„Es gab vor Jahren einmal ein computergestütztes Entscheidungsprogramm, das die Entscheidungen von Menschen zu optimieren versuchte“, sagt Schwabe. „Bei der Auswertung kam jedoch heraus, dass die Leute das Programm trotz dessen Effizienz nicht wirklich nutzen wollten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es sich eben um eine Maschine handelt, der wir im Gegensatz zu einem echten Menschen bei unseren Entscheidungsfällung noch nicht ganz vertrauen.“

Sicherlich herrscht diese Skepsis auc weil es „irrational“ wäre, etwas später als Entscheidung zu legitimeren, was durch ein Maschinenhirn voller Algorithmen ausgerechnet wurde. Trotzdem beeinflussen die Algorithmen uns tagtäglich und so auch (unbewusst) unsere Entscheidungen.

Lies weiter bei…

Pro | Entscheidungsfindung 4.0

Contra | Mein Gehirn heißt nicht Google



3 Antworten auf „Entscheidungsfindung – real statt digital“

  1. Von Ceqfmal Qeauglkey am 27. Dezember 2015

    Entscheidung als Form von Kommunikation? – Diese Behauptung wurde hier nicht unter Beweis gestellt. Kommunikation basiert auf einer Sender-Empfänger-Beziehung. Auf dieser Basis kann man sich allerdings zu einer Entscheidung verleiten lassen. Diese könnte also eine Entscheidung miteinbeflussen. Unter die Kommunikationsformen paßt die Entscheidung jedenfalls nicht hinein.

    Ceqfmal Qeauglkey (DD)

    1. Von ripanti am 28. Dezember 2015

      Kann man also doch auch „nicht“ kommunizieren?

      1. Von Ceqfmal Qeauglkey am 28. Dezember 2015

        Fragestellung unklar.

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