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ProFürchte dich nicht

Von Jette Klimmeck / 26. Dezember 2018
picture alliance / PantherMedia | Viktor Cap

Gefühle von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein sind oft angstbesetzt. Das muss aber nicht so sein, denn man kann lernen, seine Ängste zu kontrollieren.

Es begann vor drei Jahren. Plötzlich konnte ich meine eigene Wohnung nicht mehr betreten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich dort schon einige Jahre gelebt, doch mit einem Mal fühlte ich mich in meinem eigenen Zuhause bedroht. Ein Ort des Rückzugs, der Privatheit und Intimität wurde beängstigend für mich. Alltägliche Geräusche aus der Nachbarschaft reichten aus, meinen Körper in konstante Alarmbereitschaft zu versetzen.

Lag ich anfangs nur nachts wach, wurde das Gefühl der Bedrohung bald zu einem ständigen Begleiter, ganz unabhängig von einem konkreten Ort. Sie überfiel mich in der Bahn, in Menschenmengen, in der Uni. Ich verließ die Stadt so oft es ging, saß bei meinen Eltern im Garten und quälte mich mit dem Gedanken, mein ganzes Leben womöglich so verbringen zu müssen – abgeschnitten vom Alltag und unfähig, ein selbstständiges Leben zu führen.

Wir lernen – und können Erlerntes auch wieder vergessen

Die gute Nachricht ist: Ängste lassen sich kontrollieren! In der Regel sind uns Ängste nicht in die Wiege gelegt, wir werden aber durch unser soziales Umfeld dahingehend geprägt. Auch traumatische Erfahrungen können Angstauslöser sein.

Als ich diese Angststörung entwickelte, dachte ich lange, dass sie eine irreversible Entwicklung meiner Persönlichkeit sei. Laut meinen Eltern hatte ich schon als Kind einen nervösen Charakter und auch zu Teenagerzeiten mit Ängsten zu kämpfen, jedoch nie in diesem Ausmaß. Deswegen ging ich davon aus, dass meine Psyche nun einfach endgültig den für sie vorgesehenen Weg eingeschlagen hatte. Ohne Rückfahrschein.

Mittlerweile wissen wir jedoch, dass äußere Umstände genauso zu unserer Entwicklung beitragen wie unsere Veranlagung. Und genau so, wie uns ohne Üben bestimmte Fähigkeiten wieder abhanden kommen, können wir auch Verhaltensweisen wieder verlernen.

Das funktioniert sowohl mit Konfrontation als auch mit Akzeptanz. Meine Panikattacken wurden am schlimmsten, nachdem ich von den Anschlägen in Paris im November 2015 hörte. Ich hatte das Gefühl, mein Innenleben würde sich nun auch in der Welt da draußen manifestieren.

Also ging ich auf Konfrontation: Ich kann keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr nutzen? Ich buche mir ein Ticket für eine dreistündige Zugfahrt. Wohin? Nach Paris. Ich kann mich nicht in meiner Wohnung aufhalten? Ich stelle alle Möbel um und lade Freunde zu mir nach Hause ein. Das Ergebnis: Ich überschrieb meine Assoziationen mit den angstbesetzten Situationen mit neuen, positiveren Erfahrungen. Und ich akzeptierte, dass mich eben jene Situationen trotzdem weiterhin stressten und dass dieser Vorgang Zeit braucht.

Körperliche Symptome kontrollieren

Angst ist nicht „nur“ ein Gefühl, es geht auch immer mit bestimmten, konkreten körperlichen Symptomen einher. Viele von uns kennen die schweißnassen Hände vor der Präsentation, Herzrasen vorm Bewerbungsgespräch, der Adrenalinschub und die zittrigen Beine, wenn man nachts im Dunkeln nach Hause läuft. Der Körper spielt nicht nur eine wichtige Rolle beim Empfinden von Angst – er spielt auch eine wichtige Rolle bei der Kontrolle unserer Ängste.

Bei Panikattacken, wie ich sie erlebt habe, kommen alle oben genannten Symptome zusammen. Ich war nicht mehr in der Lage, klar zu denken, geschweige denn, nach der Ursache meiner Angst zu forschen. Anfangs war das aber das Erste, was ich versucht habe und erst nach einiger Zeit ist mir etwas bewusst geworden. Mein Körper ist in diesem Moment im Fluchtmodus und wie gelähmt. Durch eine Konzentration auf die Atmung kann er wieder in einen Normalzustand gebracht werden. Danach lässt sich analysieren, was die Panikattacke ausgelöst haben könnte.

Es kann auch hilfreich sein, andere miteinzubeziehen. Wenn mir im Panikrausch jemand den Rücken streichelt und fragt, was denn los ist, so ist das zwar gut gemeint, aber nicht hilfreich. Ich brauche jemanden, der mit mir atmet, die mich durch Hinweise und Kommentare wieder in die reale Welt und raus aus meinen Gedanken holt. Der mir Wasser ins Gesicht spritzt oder Druck auf meine Gliedmaßen ausübt, sodass ich sie nach dem Sauerstoffmangel wieder spüren kann. Wenn mein Körper dann wieder entspannter ist, kann es möglich sein, die Frage, was denn los ist, zu besprechen und zu vermeiden, dass eine ähnliche Situation wieder einen Angstzustand auslöst.

Anpacken und Loslassen

In meinem Umfeld haben immer mehr Menschen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie ich. Neben Phobien, Traumata und Angststörungen spielen auch alltägliche Sorgen eine immer größere Rolle. Der Leistungsdruck ist immens: Wir sollen funktionieren, sowohl im Berufs- wie im Sozialleben. An jeder Ecke warten (Selbst-)Optimierungstechniken, die uns zu einem besseren Menschen machen wollen; sich ihnen zu entziehen, ist schwer. Einmal innezuhalten und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu reflektieren, kostet Mut und Zeit. Wer sich dem entzieht, dem drohen nächtliche Grübelei, Schlaflosigkeit und Stresssymptome – bis irgendwann die Angst vor Kontrollverlust den Alltag bestimmt. Dann können wir nicht mehr differenzieren, wo lauert reale Gefahr für unsere Zukunft, was können wir verändern und was wird sich womöglich von selbst erledigen.

So war es auch bei mir: Zu einer Zeit, in der viele Veränderungen anstanden, hatte ich Angst, die Übersicht zu verlieren und falsche Entscheidungen zu treffen. Es war ein harter Prozess, mir einzugestehen, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe mir Hilfe gesucht und mich dann immer und immer wieder mit meinen Ängsten konfrontiert.

Jetzt tippe ich diesen Kommentar am Schreibtisch in meiner Wohnung. Ich habe zwar noch eine klare Erinnerung an das Gefühl der Angst. Aber auch nicht mehr. Und ich fühle mich sicher.



2 Antworten auf „Fürchte dich nicht“

  1. Von Sebastian Klein am 10. Februar 2019

    Hey, da ist voll schön. Danke

    1. Von Anonymous am 10. Februar 2019

      das*

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