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DebatteHürdenlauf einer Leistungsgesellschaft

Von Sophie Hubbe / 6. August 2015
picture alliance / photothek | Thomas Imo

Jährlich nehmen mehr als fünf Millionen Kinder und Jugendliche an den Bundesjugendspielen teil. Die Bundesjugendspiele sind eine der wenigen bundesweiten Veranstaltungen, bei denen Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam antreten. Eine Online-Petition fordert dennoch deren Abschaffung.

Für die Einen sind die Bundesjugendspiele eine Möglichkeit, dem Matheunterricht zu entkommen. Für die Anderen steht der sportliche Wettkampf im Mittelpunkt: Endlich können sie ihre Sprintqualitäten beweisen.

Lange Geschichte

Seit 1979 ist die Durchführung der Sportwettkämpfe für jede allgemeinbildende Schule in Deutschland verbindlich, und alle Schüler bis zur 10. Klasse müssen teilnehmen. Die Entstehung des Jugendwettbewerbs reicht sogar bis in das Jahr 1920 zurück. In jenem Jahr wurden erstmals die sogenannten Reichsjugendwettkämpfe ausgetragen, initiiert vom Sportfunktionär und Sportwissenschaftler Carl Diem. Durch ihren pädagogischen Ansatz und ihr differenziertes inhaltliches Angebot sollen alle Schüler entsprechend ihres individuellen Leistungsvermögens angesprochen werden, heißt es auf der offiziellen Homepage der Spiele.

Auch für Schüler mit Behinderungen gibt es seit 2009 ein speziell entwickeltes Bundesjugendspielprogramm. Um die Leistung der behinderten Schüler in offizielle Wettbewerbspunkte umzurechnen, wird ein Umrechnungsfaktor benutzt, der auf dem Grad der Behinderung basiert.

Petition für die Abschaffung

Trotz ihrer langen Geschichte und aktiven Integration steht die Sportveranstaltung derzeit in der Diskussion. In einer Online-Petition, die von der Konstanzer Autorin und Mutter Christine Finke initiiert wurde, fordern Tausende die Abschaffung der Bundesjugendspiele als Pflichtveranstaltung. Den Beschluss zur Online-Petition fasste Finke, als ihr Sohn weinend von den Bundesjugendspielen nach Hause kam.

Generell bieten Online-Petitionen Bürgern die Möglichkeit, auf Anliegen jeglicher Art aufmerksam zu machen. Nachdem zuletzt Markus Lanz, Josef Wagner und der Euro mittels einer Online-Petition „abgeschafft“ werden sollten, stehen nun die Bundesjugendspiele auf dem Programm. Da die amtlichen Petitionsverfahren in Deutschland weitestgehend unverbindlich sind, sollen sogenannte Quoren – eine Mindestanzahl an Unterstützern – dafür sorgen, dass das zuständige Parlament Stellung zur Petition bezieht. Eine Vorschrift hierfür gibt es allerdings nicht.

„Alljährliche und öffentliche Demütigung“

Die Unterstützer der Petition zur Abschaffung der Bundesjugendspiele empfinden die Spiele als nicht mehr zeitgemäß. Finke behauptet, dass die Spiele die Schüler demotivierten und unter Druck setzten. „Das Argument, gerade die schwächeren Schüler könnten bei den Bundesjugendspielen Erfolge verbuchen, darf nicht über den Schutz derjenigen Schüler gestellt werden, die im Sport keine guten oder schlechte Leistungen erbringen“, heißt es in der Petition.

Sport sollte nach Meinung von Finke Spaß machen und für ein gutes Körpergefühl sowie ein gesundes Selbstbewusstsein sorgen. Für unsportliche Kinder – wie auch ihren eigenen Sohn – sei es ein bloßes Vorführen, wenn die Wettkampfergebnisse im Unterricht verlesen würden, wobei schon auf dem Sportplatz „die Peergroup hautnah mitbekommt, wer besonders gut und besonders schlecht“sei.

Die Bundesjugendspiele haben für Christine Finke nichts mit Gleichberechtigung zu tun. Stattdessen würden individuelle körperliche Vorraussetzungen nicht berücksichtigt und ihrer Meinung nach völlig unnötige Geschlechterunterschiede bei Kindern unter elf Jahren gemacht. „Ein Wettkampf, bei dem Einzelne schon vorher wissen, dass sie chancenlos sind, ist sinnlos und unfair“, argumentiert Finke.

Die Folgen der „alljährlich wiederkehrenden öffentlichen Demütigung“, wie Finke die Bundesjugendspiele bezeichnet, seien fatal. „Viele glauben bis ins Erwachsenenalter, sie seien unsportlich“ und hätten deshalb ein höheres Risiko, in eine „langfristige Bewegungsarmut“ zu verfallen und schneller körperlichen Erkrankungen zu erliegen.

Positive Gemeinschaftserfahrung

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, die Präsidentin der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, Brunhild Kurth, und Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, zu der aktuellen Debatte geäußert. Die Bundesjugendspiele hätten das Ziel, in der Kombination von Sport, Spiel und Spaß jungen Menschen eine „positive Gemeinschaftserfahrung“ zu ermöglichen. Es ginge um die verbindende Kraft von Fairplay, Engagement und Gemeinschaftsgeist, die Erfahrung der eigenen Leistung und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Die Veranstalter der Bundesjugendspiele sind sich sicher, dass diese Erfahrungen „wichtige Lernschritte auf dem Weg zu einer erwachsenen Persönlichkeit“ sind. Fragen darüber, welche Rolle der Leistungsgedanke gegenüber der Freude am gemeinsamen Wettbewerb spielt, sind laut den Veranstaltern innerhalb der verschiedenen Institutionen immer wieder diskutiert worden. Es hätte viele Veränderungen in der 65-jährigen Geschichte der Bundesjugendspiele gegeben. Die Schulen hätten inzwischen bei der Durchführung größere Gestaltungsmöglichkeiten. Auch die Meinungen der Kinder und Jugendlichen sollen stärker berücksichtigt werden.

Finkes Online-Petition hat bisher gut 20.000 Unterstützer. Das ist relativ wenig: Für ein „Raus mit Markus Lanz aus meinem Rundfunkbeitrag“ unterschrieben immerhin 233.355 Internetnutzer. Eine vom Institut YouGov durchgeführte Umfrage ergab, dass lediglich 15 Prozent der befragten Deutschen „voll und ganz“ den Protest gegen die Schulsportwettbewerbe befürworten. Fast 60 Prozent lehnen eine Abschaffung ab.

Folgt das Aus für sämtliche Leistungskontrollen?

Salopp formuliert nehmen diese 60 Prozent in Kauf, dass ihre Kinder als Letzte beim Sprint ins Ziel kommen könnten. Für sie stellt das Sportfest keinen wesentlichen Unterschied zum restlichen Schulalltag dar, wenn es um das Vorführen von Leistungsschwächen geht. Ob man nun vor der ganzen Klasse an der Topografischen Karte versagt oder eben auf dem Sportplatz – das Demütigungspotenzial erscheint den Abschaffungsgegnern ähnlich.

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