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ProZeitraubende Bakterienschleudern

Von Klaudia Lagozinski / 31. Mai 2024
picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Nur Bares ist Wahres? So ein Quatsch! Wie beim Internetausbau und der Digitalisierung muss Deutschland endlich größere Schritte in Richtung Zukunft machen.

Spätabends betrete ich den Kiosk. Durstig öffne ich den Kühlschrank, greife nach einer Zitronenlimo, kann das erfrischende Getränk schon fast meinen Rachen herunterprickeln fühlen, gehe zur Kasse und… nix da. „Keine Kartenzahlung möglich“, sagt der Verkäufer. Vorfreude weicht Frustration.

Ich bleibe auf dem Trockenen, verlasse den Laden, öffne Google Maps. Der nächste Bankomat ist einige hundert Meter entfernt und gehört nicht meiner Hausbank. Knapp fünf Euro wären fällig, um das physische Tauschmittel Bargeld zu bekommen. Der Laden macht dann an diesem Abend durch mich keinen Umsatz und für mich geht es mit Leitungswasser ins Bett.

Wann kommt die Bargeldnation Deutschland endlich im Jetzt an? Es muss ja nicht direkt ein Sprung in die Zukunft sein, keine Kryptowährungen, kein Apple Pay, keine Kreditkarte. Für den Anfang wäre es erfreulich, könnte ich mit meiner ganz normalen Bankkarte überall eine Limo bezahlen.

Skandinavien auf dem Weg zur bargeldlosen Gesellschaft

Das schwarzrotgoldene Bargeldparadies hinkt dem Fortschritt hinterher. Während hierzulande laut Statista im Jahr 2022 noch mehr als ein Drittel der Zahlungen in bar getätigt wurden, gaben beispielsweise lediglich acht Prozent der Schwed*innen an, ihren letzten Einkauf mit Münzen oder Scheinen beglichen zu haben. Tendenz sinkend. Auch in Norwegen wurden 2021 nur noch drei bis fünf Prozent aller Zahlungen bar getätigt. Skandinavien ist auf dem besten Weg zur bargeldlosen Gesellschaft. In Deutschland hingegen geht der Anteil an Barzahlungen zwar auch zurück, jedoch nur schleppend.

Als ich ein Semester in Schweden studierte, war mein Geldbeutel sehr leicht. Ich brauchte kein Bargeld. In jedem Café, jeder Eckkneipe, auf jeder Bahnhofstoilette: von Barzahlung keine Spur. Statt „keine Kartenzahlung möglich“ las ich „kontantfri“ – bargeldlos. Monatelang gewöhnte ich mich an eine Welt ohne Bargeld. Musste nicht in den Tiefen des Geldbeutels nach Münzen kramen, während Menschen hinter mir ungeduldig vor der Supermarktkasse warteten. Das sparte Zeit und Nerven. In Schweden sind Barzahlungen so selten, dass ich auch nach einigen Monaten im Land nicht weiß, wie die Kronenscheine und -münzen aussehen. 

Und das ist gut so, denn Münzen und Scheine sind zeitfressende Bakterienschleudern. Selbst die beste Verkäuferin, der wachste Barkeeper, können sich verrechnen. Merkt man erst nach Verlassen eines Lokals, dass das Rückgeld zu niedrig ausgefallen ist, wird es schwierig, das zu beweisen. Der einzige (ziemlich) komplizierte Weg: Die Verkäuferin nimmt sich die Zeit für einen Kassensturz, hat sich nur dieses eine Mal verrechnet und der beanstandete Betrag entspricht dem Überhang des Umsatzes in der Kasse. Bei einer Kartenzahlung kann das nicht passieren. Ein prüfender Blick auf den auf dem Lesegerät ausgewiesenen Endbetrag und man weiß, wie viel abgebucht wird.

Typisch deutsche Funklochflickenteppiche und Privatsphäresorgen

Dass von einigen deutschen Gastwirten das schlechte Internet als Grund angeführt wird, weshalb hierzulande weniger Karten akzeptiert werden, hebt die Debatte auf ein neues Level der Absurdität. Denn es stimmt, dass ein Land nicht zukunftsfähiger werden kann, wenn die nötige Infrastruktur nicht existiert. Zum Beispiel wenn Gastronom*innen, die gerne Kartenzahlung ermöglichen wollen, dies nicht können. Grund: Ihr Restaurant in ländlicher Umgebung liegt in einem Funkloch.

Doch es gibt auch jene, die Kartenzahlungen für zu unsicher halten. Bargeld schütze die Privatsphäre, argumentieren insbesondere deutsche Verbraucherschützer*innen. Diesem Argument liegt die Annahme zugrunde, dass Privates für die meisten Menschen höchste Priorität habe. Übersehen wird dabei, dass in Zeiten von Social Media und Online-Shopping für viele womöglich Komfort und Zeitersparnis höher wiegen als die Frage, ob ein Marktforschungsinstitut weiß, ob man Cola oder Pepsi bevorzugt. Die Sorge, man würde durch Kartenzahlung zum gläsernen Menschen , ist in einer Zeit, in der 81 Prozent der Deutschen in den sozialen Medien unterwegs sind, wenig plausibel.

Ein weiterer Grund, weshalb Karten sicherer sind als Bargeldzahlungen: Das Risiko, einen falschen 10- oder 20-Euroschein ausgehändigt zu bekommen, ist nahezu immer null. Apropos Risiken und Chancen: Geht Geld verloren oder wird gestohlen, stehen die Chancen, es zurückzubekommen, sehr schlecht. Eine entwendete Bankkarte ist mit einem Klick oder Griff zum Hörer gesperrt, sodass man im besten Fall nichts von seinem Guthaben verliert.

Petrischale voller Bakterien

Und hygienischer sind Karten auch. Eine Karte hat nur die Person in der Hand, der sie gehört. Münzen hingegen werden durch Dutzende Hände gereicht. Im Projekt „Dirty Money“ fanden Forscher*innen der Universität Utah (USA) heraus, dass sich an Geldscheinen mehr als 3.000 Arten Bakterien tummeln, die unter anderem Akne, Lebensmittelvergiftungen sowie Lungenentzündungen auslösen können. Als „Petrischale voller Bakterien“ bezeichneten sie Geldnoten.

Bares ist nicht nur eklig, sondern frisst auch Zeit – von Kund*innen und von Dienstleister*innen. Ich erinnere mich an einen Aushilfsjob im Schmuckgeschäft, während meines Studiums. Ein Satz, der mir im Gedächtnis geblieben ist: „Wenn die Kasse nicht stimmt, muss du das von deinem Lohn ausgleichen“. Die Kartenabrechnung war in wenigen Minuten erledigt. Dann stapelte ich auf dem Verkaufstresen des geschlossenen Schmuckladens akribisch Türmchen aus Münzen: fünf 2-Euro Stücke, zehn 1-Euro-Stücke, zwei Mal zehn 50-Cent-Münzen. Nur nicht verzählen. Liegt in der Kassenlade noch was? Verdammt, verzählt, nochmal von vorn… Ich will nach Hause! Und auf dem Nachhauseweg meine verdammte Späti-Zitronenlimo schnell, kontaktlos und hygienisch bezahlen.



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