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DebatteIst kulturelle Aneignung falsch?

Von Lisa Grefer / 29. September 2022
picture alliance / Cultura | Luc Beziat

Marc Jacobs lässt weiße Models mit Dreadlock-Frisuren über den Laufsteg stolzieren, Chanel verkauft einen Bumerang für 2.000 Euro und Shirin David schminkt sich ein dunkleres Gesicht. Allen wird kulturelle Aneignung vorgeworfen. Was steckt hinter der Begrifflichkeit?

Ein neuer Tag, eine andere Marke, die in den sozialen Medien wegen eines misslungenen Produkts abgestraft wird. 2017 war der bekannteste Name im Fadenkreuz der von Chanel. Das Vergehen: ein glänzend schwarzer Bumerang aus Holz und Harz mit dem Doppel-C-Logo zu einem stolzen Preis von 2.000 US-Dollar. In der Heimat der australischen Aborigines ist dieser Vorstoß in Sachen Zubehör nicht gut angekommen – wurde der Bumerang hier doch ursprünglich als Waffe genutzt. Deshalb behaupteten Kritiker damals, es sei rassistisch, ihn als teures Sportaccessoire zu verkaufen. Nach wie vor erkennen sie darin die Ausbeutung der Unterprivilegierten durch die französische Marke, werfen ihr Ignoranz vor sowie kulturelle Aneignung. Der Konzern, heißt es seitdem, hätte sich rücksichtslos an einer marginalisierten Kultur bedient, um wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen.

„Es geht doch nur um Wertschätzung“

In Debatten um aktive kulturelle Aneignung (engl.: cultural appropriation) rechtfertigt sich die angeprangerte Seite oft damit, dass die Verwendung von Symbolen und Praktiken einer anderen Kultur mit einer expliziten Anerkennung und Wertschätzung genau dieser Kultur einhergehe. Demzufolge sind Dreadlock-Frisuren einfach schön; an Karneval indigenen Kopfschmuck tragen geschieht schlichtweg, weil die bunten Federn gefallen. Den wenigsten geht es laut eigener Aussage darum, jemanden zu diskriminieren. Doch wo sind die Grenzen bei der Anpassung an oder der Übernahme kultureller Tradition? Wann wird aus der beschworenen kulturellen Wertschätzung die fragwürdige kulturelle Aneignung? Und geht mit kultureller Aneignung zwangsläufig immer Diskriminierung einher?

Was ist kulturelle Aneignung?

Der Kommunikationswissenschaftler Richard A. Rogers identifizierte 2006 vier Formen kultureller Aneignung:

Von Transkulturation sprechen wir in Bezug auf kulturelle Elemente, die von verschiedenen Kulturen hervorgebracht wurden und die sich nicht mehr klar einer Ursprungskultur zuordnen lassen, wie die Romanisierung oder die Christianisierung. (Auch wenn es sich hierbei genau genommen nicht um kulturelle Elemente handelt, sondern große soziale und in sich multikulturelle Bewegungen.)

Um kulturelle Dominanz handelt es sich, wenn Angehörige einer unterworfenen Kultur sich im Rahmen von Integration oder als Form des Widerstands an Elementen der dominanten Kultur bedienen, sie für sich nutzen.

Wichtig für unsere Debatte sind zwei weitere Formen kultureller Aneignung: die kulturelle Anerkennung und die kulturelle Ausnutzung. Von kultureller Anerkennung spricht man, wenn eine intensive Auseinandersetzung mit einer Kultur stattfindet, für die man sich ernsthaft interessiert und der man respektvoll begegnet. Das ist zum Beispiel bei einem Auslandsaufenthalt der Fall, bei dem Schülerinnen und Schüler, aber auch Studierende oder Erwachsene eine bestimmte Zeit in einem anderen Land verbringen: Sie tauchen selbst ein vor Ort, sind im direkten Kontakt mit in einer fremden Kultur und lernen so das jeweilige Land und die Leute besser kennen.

Dem steht die kulturelle Ausnutzung gegenüber. Hier sprechen wir von einer Aneignung der Elemente einer untergeordneten durch Angehörige einer dominanten Kultur ohne Reflexion und/ oder Kompensation. Besonders dramatisch daran: Die beteiligten unterlegenen Kulturen können auf diese Weise ganz verschwinden oder verfälscht werden. Zudem, warnt die Forschung, könne die externe Kommerzialisierung die Wirtschaftstätigkeit der betroffenen Volksgruppen beeinträchtigen.

Information braucht Reflexion

Vor allem die Diskrepanz zwischen dem Gebrauch kultureller Zeichen einerseits und der tatsächlichen sozialen Realität der fraglichen Bevölkerungsgruppen andererseits wird mittlerweile hinterfragt. Greg Tate, ein US-amerikanischer Schriftsteller, fasste dies 2003 in einem Essayband mit dem Titel „Alles außer der Last“ (Originaltitel: „Everything but the burden – What white people are taking from black culture“) zusammen. Die Aufsätze handeln von weißen Menschen, die Elemente anderer Kulturen übernehmen, imitieren oder kopieren, ohne die damit verbundene Bürde der Diskriminierung tragen zu müssen. Diese Menschen, so soll am Ende der Lektüre reflektiert werden, wurden nie dafür gelobt, wie gut sie etwa Englisch sprechen, oder aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe komisch angeschaut.

Keine Kultur in festen Grenzen

Eine geradezu kompromisslos anmutende Kritik an kultureller Aneignung wird derweil von vielen Wissenschaftlern beanstandet. Sei doch die Kultur niemals starr und unbeweglich, sondern stets etwas Dynamisches. Die Literaturwissenschaftlerin Anja Hertz meint, es werde ein falsches Bild von eindeutig voneinander trennbaren Kulturen vermittelt, das auf diese Weise nicht existiere und auch gar nicht existieren könne. Vielmehr sei eine Vermischung der Kulturen in einer globalisierten Welt unvermeidlich.



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