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ContraDance, they said. It will be fun, they said.

Von Anna Steinmeier / 29. Mai 2020
picture alliance / Shotshop | Photology2000

Profitänzer und Social Media-Persönlichkeiten haben unrealistische Standards in Sachen Tanz vorgegeben: Fehlerlos soll es sein und schön anzusehen. Doch viele Menschen haben Angst, sich beim Tanzen lächerlich zu machen und können sich gar nicht auf diese Form der Therapie einlassen.

Kein Motiv wird in der Musik so oft bedient, wie dasjenige, durch Tanzen ein Gefühl der Freiheit zu vermitteln. Nicht nur in der Musik selbst, sondern auch in der literarischen Rezeption des Tanzens wird von großen Autoren wie Nietzsche und Voltaire das Tanzen als ein Loslassen stilisiert. Wenn getanzt wird, dann seien alle Probleme der Welt vergessen, heißt es. Doch warum setzen wir uns dann lieber zur Therapie hin, als die Musik anzumachen und einfach loszutanzen? Und wenn wir tanzen, warum ist es oft eher, wie Bruce Springsteen es so passend nannte, ein „Dancing in the Dark“? Zwar mag es in der Theorie leicht erscheinen, einfach drauf loszutanzen. Aber allzu oft blockiert viele von uns etwas in unseren Köpfen.

Die perfekte Performance

Wenn es einen Gewinner in der Corona-Krise gibt, dann ist es definitiv die App TikTok. Neben Stimmimitationen sind auf der App vor allem Tanzvideos zu finden. Verschiedene Tänze, oft zum selben Lied, die von etlichen Jugendlichen nachgetanzt werden. Was nach einem kurzweiligen Vergnügen aussieht, ist oft das Produkt stundenlanger Übungen. Statt sich die bedrückende Zeit der Quarantäne spaßig tanzend zu vertun, werden taktgenaue Choreografien und Texte auswendig gelernt. Die Tänzer nutzen das Angebot der App also nicht, um sich wie in einer Tanztherapie gehenzulassen, sondern um eine perfekte Ausdrucksweise anzustreben.

Was Tanzen als Therapieform auch noch ungeeignet macht: die Kommentare von anderen Usern und die Angst, sich selbst lächerlich zu machen. Sobald jemand ein Video hochlädt, kann es sein, dass sich die Kommentarspalte mit allerlei Hassbotschaften füllt, die beispielsweise das Aussehen oder die Tanztalente der gezeigten Person betreffen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die meisten erfolgreichen TikTok-Tänzerinnen vor allem jung und hübsch sind.

Wenn wir beim Putzen in den eigenen vier Wänden unser Tanzbein schwingen, dann auch deshalb, weil uns niemand sieht. Das Risiko, womöglich belächelt zu werden, existiert nicht. Ist uns auf einer Party oder in einem Club dagegen durchaus bewusst, dass wir Zuschauer haben, versuchen wir fast automatisch, uns möglichst ästhetisch zu bewegen. Und das wiederum erzeugt eher Stress als Entspannung.

Tanzen bis zum Umfallen

Dabei gibt es den Drang nach Perfektion nicht nur im Privaten. Wie der Film „Black Swan“ eindrucksvoll darstellt, stehen vor allem Tänzerinnen unter einem enormen Druck, perfekt auszusehen und einwandfrei zu performen. In „Black Swan“ bringt die übermäßige Selbstdisziplin der Hauptdarstellerin sie selbst dermaßen an ihre Grenzen, dass sie halluziniert. Während der Film mitunter ins Surreale abdriftet, sind in der realen Welt Krankheiten wie Magersucht oder Depression keine Ausnahmen, sondern – vor allem in der professionellen und hart umkämpften Welt des Tanzes – oft die Regel.

Häufig haben Profitänzer nach ihrem Karriereende, das sie nicht selten schon mit Ende 20 ereilt, Schwierigkeiten, sich von diesem Drang nach Perfektion, der oft Jahrzehnte auf ihnen lastete, zu befreien und stürzen in ein tiefes Loch. Ihr ganzes Leben war auf die Perfektionierung ihrer Tanzübungen ausgelegt, sodass das Tanzen, statt Therapie zu sein, der eigentliche Grund für eine Therapie wird. Zudem schlüpfen ehemalige Tänzer nicht selten selbst in die Lehrerrolle und vermitteln der ihnen nachfolgenden Generation dieselbe perfektionistische Sicht.

Lass einfach los?

Doch was im Profitanzsport auf die Spitze getrieben wird, findet schon im Kleinen statt, auch weil es in vielen gesellschaftlichen Bereichen verankert ist: Schönheit und Perfektion werden ununterbrochen gefördert, während das reine Genießen ohne Ansehen der öffentlichen Meinung oft in Frage gestellt wird. Dies zeigt sich auch in der Tanztherapie selbst: Häufig gelingt es den Teilnehmern gar nicht, loszulassen und sich frei zu bewegen, auch wenn sie es wirklich versuchen. Sie streben unterbewusst danach, ihre Bewegung schön aussehen zu lassen und sich im Takt mit der Musik zu bewegen, anstatt die Musik schlicht zu genießen. Das Funktionieren an sich ist viel zu sehr in unseren Köpfen verankert, als dass uns eine 90-minütige Tanzsession davon komplett befreien könnte, zumal auch hier wieder unter Anleitung getanzt wird.

Viele Menschen lehnen Tanztherapie letztlich also nicht nur deshalb ab, weil sie das Gefühl haben, sich lächerlich zu machen. Das „einfache Loslassen“ stellt ein noch viel größeres Problem für sie dar als dasjenige, das die eigentliche Tanztherapie vielleicht zu lösen vermag.

Der herausforderndste Schritt ist immer der erste und gerade beim Tanzen fällt uns dieser alles andere als leicht. Unsere Gesellschaft hat uns beigebracht, dass das Tanzen Schritten und Regeln zu folgen hat, weil alles andere nur unästhetisches Rumgezappel sei. Das müssen wir uns erst eingestehen, um es dann hinter uns lassen zu können.



Eine Antwort zu “Dance, they said. It will be fun, they said.”

  1. Von Andrea am 16. Juni 2020

    Nachvollziehbar. Tanzen ist sicherlich nicht was für jede*n, und gerade für Menschen, die ohnehin Schwierigkeiten haben, „loszulassen“, eher Stress als Befreiung.
    Dennoch – als Therapie, also mit der Hilfe eines Therapeuten, kann Bewegung zu Musik sicher einiges bewirken. Es geht ja bei Tanztherapie nicht ums Tanzen als Präsentation vor Leuten. Ich habe mir unter dem Begriff sicher nicht vorgestellt, dass ich „als Therapie“ einen Tanz einüben und dann womöglich sogar aufführen soll. Sondern eben allein – oder fast allein, nur mit der Hilfestellung mines Therapeuten, dem ich allerdings vertrauen muss, um mich lösen zu können. So gesehen wäre Tanztherapie in meinen Augen eine Art Bewegungstherapie, nur eben unter Zuhilfnahme von Musik, Rhythmus und choreographischen Elementen, an denen man sich orientieren kann.

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