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ProStaatsbürgerliche Traditionen schaffen (uns nicht ab)

Von Sebastian Krieger / 29. Mai 2019
picture alliance / Caro | Conradi

Deutschland versteht sich als säkularer Staat, fördert aber einseitig christliche Traditionen und Weltbilder. Das ist ein Widerspruch und versperrt den Blick auf andere, zeitgemäße Gemeinsamkeiten.

Deutschland hegt und pflegt christliche Traditionen. Doch christliche Traditionen als Begründung für arbeitsfreie Tage sollten der Vergangenheit angehören. Wirklich. Nur eine Minderheit der Bevölkerung bekennt sich noch zum christlichen Glauben, die Traditionen, auf denen die Feiertage basieren, sind größtenteils vergessen oder werden nicht gelebt. Nehmen wir als Beispiel den Karfreitag. Zu diesem Auftakt der Osterfeiertage sind Tanzveranstaltungen untersagt, desgleichen die öffentliche Vorführung von Filmen wie Monty Pythons „Das Leben des Brian“, selbst Umziehen ist verboten! Alles aus Respekt vor dem Glauben der Christen, alles aus Tradition. Nur: Braucht es das 2019 noch? Eine staatliche Verordnung christlicher Traditionen ist unzeitgemäß. Der Großteil der Bevölkerung verbindet damit kaum etwas.

Stattdessen könnte von staatlicher Seite der Pluralität der Kulturen, Traditionen und Lebensweisen in Deutschland Rechnung getragen werden. Um eins vorwegzunehmen: Wer den Karfreitag ungestört begehen will, dem soll das ermöglicht werden. Selbstverständlich! Dies ist ein Gebot des Respektes allen Staatsbürger*innen gegenüber. Dieser Respekt aber muss wechselseitig sein und eben keine Einbahnstraße in Richtung Christentum. Jedenfalls dann, wenn Deutschland sich glaubwürdig als aufgeklärter, säkularer Staat präsentieren will.

Als Privatpersonen können wir frei wählen, wie wir leben. Wenn wir uns als Staatsbürger*innen diese Freiheit wechselseitig zugestehen.

Denn wie sonst könnte man die Frage, welche Traditionen wir von staatlicher Seite gefördert wissen wollen, entscheiden? Stellen wir uns vor, wir müssten diese Antwort hinter einem etwas variierten Rawls’schen „Schleier des Nichtwissens“ finden. Einen, durch den wir keine Kenntnis hätten – weder über unseren eigenen Urzustand noch den eines Anderen – und insofern nicht wüssten, welches Geschlecht, welche körperliche Verfassung, Bildung oder welche Religion die unsrige wäre: Wir wüssten schlechterdings nicht, welche Gepflogenheiten wir für wichtig und identitätsstiftend halten sollten. Im Zustand dieses Nichtwissens böte sich aber an, jene Prinzipien und Rahmenbedingungen zu wählen, die die Praxis möglichst vieler Lebensweisen ermöglichen.

Als Staatsbürger*innen sind wir gleich: ausgestattet mit gleichen Rechten und Freiheiten, gleichen Pflichten. Das bedingt auch das gegenseitige Zugeständnis, die unterschiedlichen Traditionen und Kulturen im Bereich des Privaten ausleben zu können. Genau an dieser Stelle greifen Kategorien wie Akzeptanz und Toleranz. Niemand wird offiziell dazu gezwungen, einer bestimmten Tradition zu folgen. Und niemand wird daran gehindert, seine Tradition auszuleben.

Wenn wir uns in Deutschland als eine offene, pluralistische Gesellschaft verstehen, sollten wir uns nicht darauf beschränken, lediglich christliche Traditionen staatlich festzuklopfen. Aber wie könnte das praktisch aussehen?

Verständnis setzt Wissen voraus. Konzentrieren wir uns wieder mehr auf das lokale Miteinander.

Es ist das Lokale, die nachbarschaftliche Nähe, die Toleranz und Respekt ermöglichen. Nur wenn ich meine Nachbarn kenne und weiß, was ihnen wichtig ist, kann ich mich auch so verhalten, dass sie in ihrer Traditionsausübung möglichst nicht gestört werden. Ich kann ihnen entgegenkommen und dasselbe von ihnen erwarten. Weiß ich um meine streng katholische Nachbarin, schmeiße ich Karfreitag keine Party (auch ohne Tanzverbot). Sie wiederum respektiert, dass es während des Ramadan bei den Nachbarn über ihr abends lauter wird, weil die ganze Familie zum Essen zusammenkommt. Ein kleines Utopia mit lauter empathischen Menschen zeichnet sich hier ab, ich weiß – aber wenn säkulare Gesetzesformulierungen das (er)schaffen, warum nicht?!

Traditionen bereichern das Privatleben und der Staat kann Möglichkeiten des Austausches schaffen, beispielsweise durch die Förderung von Nachbarschaftsfesten oder die Festlegung staatsbürgerlich begründeter Feiertage. Diese brächten die Bürger*innen eher als Ebenbürtige zusammen und ins Gespräch; Gleichgesinnte könnten sich finden, Vereine würden gegründet…

Ein Zeichen setzen: Feiertage schaffen, die nicht religiös besetzt sind!

Deshalb lasst uns christliche Feiertage streichen und dafür rein staatsbürgerliche Feiertage einführen! Zum Beispiel den 8. Mai (Ende des 2. Weltkriegs, Unterzeichnung des Grundgesetztes) oder den 9. November (Ausrufung der Republik Deutschlands, Mauerfall, aber eben auch: Gedenktag an die Reichspogromnacht). Darüber hinaus könnte Jede*r Anspruch auf einige Tage Urlaub erhalten, den er*sie für die Auslebung der ganz individuellen Traditionen verwenden kann (Zuckerfest, Chanukka, Gründungstag des Lieblingsvereins …).

Das würde mehr zu einem gemeinschaftlichen Zusammenleben in Deutschland beitragen als das Festhalten am Tanzverbot an Karfreitag. Es mag sein, dass einige christliche Bräuche inzwischen als sinnvoller Anlass für andere wichtige Dinge genutzt werden: Weihnachten als Fest der Liebe und der familiären Zusammenkunft oder einfach als fest planbare Ruhezeit am Jahresende, das hat schon etwas, zugegeben. Aber brauchen wir als Gesellschaft wirklich Christi Himmelfahrt und Fronleichnam für unseren Zusammenhalt? Come on.



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