ProDrum trenne, was sich ewig binden will
Deutschland pflegt ein schwammiges Verhältnis zum Laizismus. Manche finden: eine lästige Plage. Klare Verhältnisse würden jedoch nicht nur der Staatskasse guttun, sondern auch den Glaubensgemeinschaften.
In diesem Text geht es in erster Linie um Finanzierungs- und Teilhabefragen verschiedener Religionsgruppen in Deutschland. Nicht infrage gestellt wird ein Schutzrecht für Glaubensgemeinschaften, welches im Sinne der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit unabdingbar ist. Der Schutz religiösen Lebens muss (auch) im Laizismus ohne Wenn und Aber garantiert werden.
In Sachen Religion ist Deutschland so etwas wie das Mekka der Superlative. Als Wiege der evangelischen Kirche gibt es hier weltweit die siebtmeisten Protestanten und gemeinsam mit den Katholiken und Orthodoxen lebt hier mit über 40 Millionen Mitgliedern eine der größten christlichen Bevölkerungen überhaupt. Gleichzeitig befindet sich der Stellenwert der Kirchen in Folge massiver Austrittswellen im Sinkflug, sodass seit 2021 erstmals Katholiken und Protestanten zusammen nicht mehr die Mehrheit im Land bilden. Damit ist Deutschland paradoxerweise eine der globalen Hochburgen des Christentums und des Unglaubens zugleich.
Nicht nur Christen und Atheisten, viele andere Religionsgruppen sind hier heimisch und zahlenmäßig stark vertreten. Die Bundesrepublik beherbergt eine der größten jüdischen Gemeinden weltweit. Diese bildet sogar die älteste, durchgehend bestehende Glaubensgemeinschaft auf deutschem Boden mit Wurzeln im ersten Jahrhundert nach Christus. Nicht zu vergessen der Islam, der aktuell starken Zuwachs erlebt und hierzulande mittlerweile rund sechs Millionen Muslime zählt.
Es ist zwar mehr als erfreulich, dass sich Deutschland zu einem Land entwickelt, in dem sich Menschen verschiedener Konfessionen zuhause fühlen. Dass aber Staat und Religion nicht sauber voneinander getrennt sind, mutet umso mehr wie ein Anachronismus an.
Der Gott des Gesetzes
In seiner Präambel bekennt sich das Grundgesetz zu „seiner Verantwortung vor [einem] Gott und den Menschen“. Schon in der Weimarer Republik entschieden sich die Mitglieder der Nationalversammlung bewusst gegen den damals aufkeimenden Laizismus und stattdessen für die bis heute bestehende „hinkende Trennung“ von Kirche und Staat, wie sie Staatsrechtler Ulrich Stutz in den 1920ern nannte.
Im Alltag bedeutet das, dass eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nicht nur möglich, sondern oft sogar notwendig ist. Beispielsweise beim Thema Kirchensteuer, die vom Staat für – einige – Religionsgemeinschaften eingezogen wird. Von diesem Privileg machen vor allem die katholische und evangelische Kirche Gebrauch: Mit den jährlich daraus resultierenden rund elf Milliarden Euro bestreiten sie den Großteil ihrer Finanzierung. Prinzipiell stünde dieses Mittel jeder Religionsgemeinschaft offen – so nutzt es auch die jüdische Gemeinde in Form der „Kultussteuer“ –, aber einige Gruppierungen wie die orthodoxe Kirche, die Weltreligion der Bahai oder viele kleinere christliche Sekten verzichten darauf.
Besonderer Zankapfel sind die islamischen Gemeinden: Da sie häufig als politische Organisationen gewertet werden, von ihren Herkunftsländern angewiesen und finanziert, sind sie den anderen, anerkannten Religionsgemeinschaften in Deutschland nicht gleichgestellt und dürfen deshalb keine „Moscheesteuer“ erheben. Die Situation wird durch die heterogenen Organisationsstrukturen vieler muslimischen Gemeinden ohne zentrale gemeinsame Akteure – im Gegensatz zur Kirche – weiter erschwert.
Das Thema wird zum Politikum, da der Staat entscheidet, welche Glaubensgruppierung steuerliche Vorteile genießen darf und welche sich ihre Geldgeber selbst suchen oder aber eine „Steuer“ ihrer Mitglieder selbst eintreiben muss. Vermeiden ließe sich dieses Problem, wenn der Staat grundsätzlich in Finanzierungsfragen von Religionsgemeinschaften außen vor bliebe. Wie das funktionieren kann, lässt sich mit einem Blick ins Ausland feststellen.
Leben wie Gott in Frankreich?
Frankreich gilt als Wiege des Laizismus, obwohl das Land ein katholisches Bollwerk bleibt. Über 100 Jahre lang wurde darum gerungen, aber 1905 hat man als erstes Land weltweit den Schlussstrich unter die Beziehung von Religion und Regierung gezogen. Alle bestehenden Kirchen gehören seitdem Staat und Gemeinden. Das heißt, die Kirchen werden vom Klerus und den Gläubigen genutzt, der Staat finanziert jedoch meist den Unterhalt. In öffentlichen Schulen gibt es weder Kreuze noch Kopftücher und auch karitative Organisationen müssen sich von ihrer Religionsgemeinschaft trennen, wenn sie vom Staat finanziell unterstützt werden wollen. Trotzdem lieben die Französ:innen ihre Kathedrale Notre-Dame!
Natürlich müssten die Kirchen in Deutschland ihre Finanzierung völlig neu denken, wenn es eines Tages der Kirchensteuer an den Kragen gehen sollte. Aber genau diese Zukunftsdiskussion gilt es gesamtgesellschaftlich endlich zu Ende zu führen.
Ein laizistischer Ansatz würde helfen, uns auf die eigentlichen Werte der Religionen zurückzubesinnen. Trotz Zwist und Streit, den sie verursachen, sind sie doch ein wichtiger gesellschaftlicher Kitt. Sie bereichern mit Kultur-, Bildungs- und Sportangeboten, unterstützen Bedürftige, gewähren Zuflucht und Asyl. Sie tun all dies unabhängig vom oder auch ergänzend zum Staat. Sie tun es mahnend, mit dem erhobenen Finger der Notwendigkeit: „Wer, wenn nicht wir?“ Doch wenn das Geld dafür von eben jenem angeprangerten Staat kommt, verpufft die moralisch geweihte Instanz der Nächstenliebe schnell.
In Singapur existieren übrigens fünf bedeutende Religionsgemeinschaften nebeneinander: Buddhisten, Christen, Muslime, Taoisten und Hindus. Im Sinne des „wehrhaften Säkularismus“ ist es religiösen Gruppen dort verboten, politisch aktiv und vor allem regierungskritisch zu sein. In Deutschland würde man damit freilich über das Ziel hinausschießen, doch eine Sache können wir vielleicht von dem südostasiatischen Stadtstaat lernen. Es gibt in Singapur elf gesetzliche Feiertage. Dabei wird jede Religion berücksichtigt: sowohl Weihnachten als auch chinesisches Neujahr, das Fest des Fastenbrechens und das Lichterfest Diwali werden jedes Jahr im ganzen Land zelebriert und jede:r ist willkommen, sie mitzufeiern. So geht gleichberechtige religiöse Teilhabe für alle. Warum also nicht auch in Deutschland?