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ContraGesellschaft 2.0 – Teilhabepotenziale sozialer Medien

Von Angela Frick / 31. Mai 2021
picture alliance / Zoonar | Maksym Yemelyanov

Als digitale Versammlungsorte, an denen sich Gegenöffentlichkeiten konstituieren und oppositionelle Stimmen äußern können, befördern soziale Medien maßgeblich soziale Aushandlungsprozesse. Dadurch tragen sie zu einer Pluralisierung von Gesellschaftsdiskursen bei.

Posten, Liken, Kommentieren

Twitter, Instagram, Facebook – nur drei Beispiele einer Vielzahl von Plattformen, die aus dem Alltag einiger Menschen kaum noch wegzudenken sind. Knapp 80 Prozent der deutschen Bevölkerung posten, liken und kommentieren laut einer Statistik der Beratungsagentur DataReportal regelmäßig. Und das ist auch gut so. Gerade in Pandemiezeiten helfen digitale Kommunikationsangebote vielen, den zwischenmenschlichen Anschluss aufrechtzuerhalten und nicht zu vereinsamen.

Und nicht nur die private Kommunikation verlagert sich zunehmend in den virtuellen Raum. Auch gesellschaftliche Diskurse und Debatten werden auf den Plattformen sozialer Medien geführt. Unter reger zivilgesellschaftlicher Beteiligung. Schließlich ist ein digitaler Kommentar doch deutlich schneller getippt als der analoge Leser*innenbrief abgeschickt.

Soziale Kommunikationsnetzwerke

Es liegt offensichtlich an der Unmittelbarkeit ihrer Kommunikation, weshalb sich soziale Medien als Diskussionsort für gesellschaftsrelevante Fragestellungen anbieten. Digitale Angebote ermöglichen das, woran Politik und Medien im analogen Raum scheitern: Sie erreichen eine Vielzahl an Personen unterschiedlicher Herkunft, Klasse und Geschlecht. Davon profitieren alle Menschen jenseits der weißen, cis-männlichen, heterosexuellen, christlichen Norm der Ober- und Mittelklasse des globalen Nordens entsprechen – also die Mehrheit der Menschheit. Denn gerade marginalisierten Gruppen, denen in den einseitigen Diskursen vieler klassischer Print- und TV-Medien nur wenig Raum geboten wird, liefern Twitter, Facebook und Co. die Möglichkeit, sich zu äußern, zu kritisieren und aufzuklären. Soziale Medien dienen so zunehmend als Kommunikationsnetzwerke, die Austausch und Zusammenschluss fördern.

Raum für kritische Gegenöffentlichkeiten

Diese Kommunikationsnetzwerke sind als virtuelle Gegenöffentlichkeiten zu verstehen, in denen kritische Stimmen zu gesellschaftlichen Debatten laut werden können. Und zu beanstanden gibt es einiges. Beispielsweise, wenn in Talkrunden fünf als „weiß“ gelesene Menschen ihre Meinung zum Thema Alltagsrassismus kundtun, ohne dass dabei eine nicht-weiße betroffene Person zu Wort kommt, was Anfang des Jahres in einer wiederholten Folge der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ der Fall war. Die Sendung löste nicht nur auf Grund ihrer Besetzung, sondern auch wegen als rassistisch zu verstehender Äußerungen der Gäste eine Welle der Empörung in den sozialen Medien aus. Über Twitter- und Instagram-Kanäle verbreitete sich nicht nur Missbilligung, Betroffene hatten zudem die Gelegenheit, sich mitzuteilen und über ihre Erfahrungen zu sprechen – und das durchaus öffentlichkeitswirksam. Der WDR reagierte auf die Vorwürfe und entschuldigte sich, man wolle es beim nächsten Mal besser machen.

#aktivismus

Dass sich diese Form der Kritik so schnell hat verbreiten können, lag unter anderem an der Gestaltung sozialer Medien, über sogenannte Hashtags auf aktuelle Diskurse Bezug zu nehmen oder diese in Gang zu bringen. Das Verwenden von Hashtags hat sich längst als Kommunikationsmedium zur politischen Teilhabe etabliert. Als Beispiel sei der feministische Hashtag #metoo genannt, der 2017 im Zuge der bereits zwei Jahre zuvor geäußerten Vergewaltigungs- und Belästigungsvorwürfe gegenüber Harvey Weinstein hauptsächlich von cis- und trans-Frauen über soziale Medien wiederbelebt wurde, um auf sexuelle Übergriffe innerhalb der Film- und Medienbranche aufmerksam zu machen. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich #metoo in ein virales Lauffeuer, das über die Weltkugel hinweg strukturellen Sexismus – zumindest für kurze Zeit – ins Zentrum des gesamtgesellschaftlichen Diskurses stellte.

Der anti-rassistische Hashtag #blacklivesmatter, der nach dem Mord des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten erneut eine Welle des Aufschreis und der Empörung über den andauernden strukturellen Rassismus zum Ausdruck brachte, verfing auch in Deutschland. Wären diese Debatten um strukturelle Diskriminierung ohne soziale Medien und ihre – hier feministischen und antirassistischen – Gegenöffentlichkeiten gesellschaftlich mit der gleichen Intensität geführt worden? Wohl kaum. Wären sie überhaupt aufgekommen? Wer weiß.

Konflikt? Pluralisierung!

Dass soziale Medien durch das Erstarken-lassen gegensätzlicher Perspektiven ein gewisses Konfliktpotenzial mit sich bringen, lässt sich kaum bestreiten. Um sich dies zu vergegenwärtigen, reicht ein kurzer Blick in die Kommentarspalten auf Facebook oder Twitter. Doch sind gesellschaftliche Konflikte per se als etwas Negatives zu verstehen? Nein, antwortet die Philosophin und Theoretikerin Nancy Fraser. In ihrem Buch „Die halbierte Gerechtigkeit“ stellt sie fest: „Öffentlichkeit konstituiert sich durch Konflikte.“ Erst durch derartige Reibungspunkte werden demnach Aushandlungsprozesse in Gang gesetzt, die unverzichtbar für zivilgesellschaftliches, demokratisches Zusammenleben sind. So steckt eben gerade in der Auseinandersetzung ein Potenzial zur Pluralisierung von öffentlichen Diskursen. Und nur so können wir der komplexen sozialen Wirklichkeit unserer Gesellschaft gerecht werden und damit auch wirklich allen Menschen, die Teil von ihr sind.



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