Roma: Ein Fluch Europas
Ana-Maria Trăsnea ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mit 13 zog sie von Rumänien nach Deutschland. Sie hat die Bukarest-Artikel zur Situation der Roma gelesen und gibt in Reaktion darauf zu: „Ich habe mich von den Roma abgegrenzt, um nicht diskriminiert zu werden.“ Heute tut ihr das leid. Mittlerweile setzt sie sich gegen Diskriminierung ein.
Schon als Kind wurde ich gewarnt: „Spiele nicht mit Zigeunern, sie klauen und werden dich schlagen! Hüte dich vor ihnen!“ In mir entwickelte sich Angst vor diesen Menschen. Dann hörte ich von Kindern, die auf dem Spielplatz von Roma geschlagen wurden. Ich fühlte mich bestätigt. Ich lernte, diese Menschen zu meiden. Es war wie eine innere Alarmglocke, die sofort anging, sobald das Wort Roma fiel.
Manche meiner Schulfreunde spielten mit Roma-Kindern Fußball und verstanden sich gut miteinander. Und doch werden eben Witze über den kulturellen Hintergrund der Roma gemacht. Du nennst nicht den richtigen Namen, sondern rufst nur „tigane“ oder „tiganco“. Schon damals erschien mir das seltsam und ungerecht. Dass man dagegen etwas unternehmen könnte, kam mir nicht in den Sinn. Die Unterschiede schienen unüberbrückbar.
Angst vor dem Roma-Stigma
Mit 13 emigrierte ich aus Rumänien nach Deutschland. Berlin gab mir zunächst das Gefühl der Freiheit. Wenig später wurde ich mit Vorurteilen konfrontiert. Ich war zutiefst empört, als man mich das erste Mal fragte, ob ich „Zigeunerin“ sei. Wie kann mein Mitschüler es wagen, dermaßen ignorant zu sein, und den Unterschied zwischen Rumäne und Roma nicht kennen?
Heute weiß ich es besser. Nicht nur ihm fehlte es an Offenheit, sondern auch mir. Ich forderte ein, respektiert und als wertvoller Mensch anerkannt zu werden. Auf der anderen Seite wollte ich mich demonstrativ von Roma abgrenzen, als wären sie Menschen zweiter Klasse. Wohlwissend, dass die Roma-Herkunft mit Armut, Kriminalität und Verlogenheit assoziiert wird, strebte ich mit all meinem Wesen danach, mich davon zu distanzieren. Überhaupt habe ich es manchmal vermieden, meine rumänische Herkunft zuzugeben.
Roma im Teufelskreis der Armut
Mit der Zeit lernte ich, geduldig auf die Fragen zu antworten und das Unwissen aufzuklären. Roma sind in Rumänien eine ethnische Minderheit. In der rumänischen Gesellschaft herrscht eine starke Abgrenzung von der Roma-Community, die als unwillig gelten, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Erst diese Distanzierung führt zu einem Teufelskreis der Armut und schürt so weitere Vorurteile. Auf Grund der prekären Lebensumstände in kalten Hütten, mit unregelmäßigen Mahlzeiten und beschränktem Zugang zum Gesundheitssystem können Roma keine zuverlässigen Arbeitskräfte sein.
Man kann sich diesen Umständen bewusst sein und etwas dagegen tun. Oder, und so macht es die Mehrheitsgesellschaft, man macht die Roma für ihr eigenes Schicksal verantwortlich und begründet ihre Situation mit der Ethnizität. Ohne festes Haus wird man öfter krank, geht seltener zur Arbeit, wird schneller entlassen und bekommt den Stempel der Unzuverlässigkeit aufgedrückt. Man wird seltener eingestellt und gilt als faul. Vorurteile und Armut verstärken sich gegenseitig.
Europa muss sich der Diskriminierung stellen
Ich will darauf aufmerksam machen, dass ein Dialog zwischen diesen Gruppen fehlt. Es gibt Probleme auf beiden Seiten der Bevölkerung und ich möchte keine davon heilig sprechen. Die Probleme müssen aber endlich beim Namen genannt werden. Die Roma erleiden schwere Menschenrechtsverletzungen in Rumänien und werden kaum als vollwertige Rumänen akzeptiert. Das ist nicht nur eine Sache der Rumänen. Diese Vorurteile herrschen in so gut wie jeder Gesellschaft in Europa. Die soziale Diskriminierung hat eine lange Tradition. Es liegt in unsere Verantwortung, uns dieser Realität zu stellen, die Mechanismen aufzuzeigen, Brücken zu schlagen und Solidarität untereinander zu fördern.
Es mangelt meiner Meinung nach an politischem Willen, nachhaltig die soziale Diskriminierung der Roma zu bekämpfen. Innerhalb der EU-Staaten sollte ein Monitoring-Programm zur Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen eingeführt werden. Europäische Programme könnten Kommunen unterstützen, die eine toleranzfördernde Politik betreiben. So könnten sie engagierten Verantwortlichen auf der lokalen Ebene den Rücken stärken. Die Politik muss den nötigen Mentalitätswandel der Bevölkerung stimulieren und Projekte zur Aufklärungsarbeit finanzieren.
Kein Mensch unterscheidet von Geburt an zwischen besseren und schlechteren Menschen. Kein Mensch weiß mit der Geburt, welcher Nation er wohl angehört. Wir lernen solche Normen. Wir konstruieren uns eine Welt, die Menschen unterteilt. Doch die Welt hat sich immer schon geändert, Normen kommen und gehen irgendwann auch wieder.
In unseren Köpfen sind Mauern, die uns beschützen sollen. Die es uns einfacher machen sollen. Es ist eine Mutprobe, diese Mauern abzubauen und sich der Welt vorurteilsfrei zu stellen. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass man sich dem stellen kann. Die Roma sind kein Fluch, sondern im Gegenteil ein Segen für Europa. Denn wenn wir die soziale Diskriminierung ehrlich bekämpfen und Roma als vollwertige Europäer in unserer Gesellschaft ernst nehmen, dann kommen wir unseren eigenen europäischen Idealen ein Stück näher.
Von Ana-Maria Trăsnea,Salamanca, 07.10.2015.