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Smarte oder Fake News?

Von Tom Albiez / 28. September 2023
FES Journalist_innenAkademie / Elias El Ghorchi

KI ist die dritte große Welle nach Digitalisierung und Social Media, die den Journalismus nachhaltig verändern wird. Doch erfolgreiche Tech-Konzerne treffen auf eine Branche, die schon seit Längerem unter finanziellem Druck steht. Chance oder der Beginn des Niedergangs?

Um ein, das heißt eigentlich: zwei Schlagworte kommt auch das b° future festival für Journalismus und konstruktiven Dialog nicht herum. Künstliche Intelligenz, fast nur noch verniedlicht “KI“ genannt, im Journalismus geht weit über Textgenerierung hinaus. Dies zeigt die Studie „Journalismus AI Report“von Charlie Beckett, Professor an der London School of Economics.

KI biete sich vor allem für die Auswertung von großen Datenmengen an, berichtet Beckett. Dies kann bei der Investigativrecherche sinnvoll sein. Genauso kann es helfen, Trends bei Suchanfragen oder auf Social Media zu erkennen, um zielgruppenrelevanten Content zu produzieren. Und um den kommt kein Medienunternehmen mehr herum. Darüber hinaus ermöglicht Bild- beziehungsweise Texterkennung, sogenannte Optical Character Recognition (OCR), eine vollautomatische Auswertung von umfangreichem Bildmaterial.

GenAI nur bedingt zur Textgenerierung geeignet

Soweit, so gut. Doch der Albtraum für viele Journalist:innen ist längst wahr geworden, weiß Gründer und Leiter des internationalen Journalismus-Thinktanks Polis Beckett: Natürlich kann generative KI eingesetzt werden, um Texte zu erzeugen. Allerdings ist die Qualität bei Weitem noch nicht ausreichend.

Der Chefredakteur der Rheinischen Post empfiehlt deswegen: „Behandle jeden KI generierten Text so, als wäre er von Claas Relotius geschrieben.“ Was soviel heißt wie, man kann auch der KI noch nicht trauen, weil sie, wie der in Verruf geratene Ex-Spiegel-Journalist, Inhalte schlicht erfindet. Allerdings eignet sie sich jetzt schon für Überschriftenvorschläge oder einfache Textformen, etwa Zusammenfassungen.

In der Finanzberichterstattung werden Texte von und mit KI verfasst, um beispielsweise die Entwicklung von Aktienkursen zu beschreiben. Darüber hinaus kann generative KI, also GenAI (generative AI), für die eigenständige Bebilderung eines Beitrags eingesetzt werden, als Ersatz für Stockmaterial. Interviews lassen sich zudem automatisiert transkribieren. Es gibt augenscheinlich also viele Vorteile.

Distribution ist der dritte Bereich, in der KI den Markt revolutionieren kann, so die Beckett-Studie. In Zeiten, in denen Podcasts sehr beliebt seien, verspreche insbesondere die Methode Text-to-audio weiteres Potenzial, um Leser:innen und Hörer:innen zu gewinnen.

Derzeit arbeitet die Rheinische Post an einem solchen Projekt: Mit KI werden Stimmen der Autor:innen eingelesen, damit digitale Abbilde in Form von Avataren generiert werden. Es reichen bereits zwei bis drei Einlese-Sequenzen, damit KI menschliche Stimmen imitieren kann. So kann man sich zu Hause den Artikel mit der Stimme seines/r Lieblingsreporters/ -reporterin vorlesen lassen. Im besten Fall.

Fact Checking und Slow Journalism als Zukunft der Berichterstattung

Eine der größten Herausforderungen, die KI sowohl mit sich bringt, aber zugleich auch bewältigen kann, sind sich die Diskutanten sicher, ist das Fact Checking. Durch KI ist es so einfach wie noch nie geworden, Fake News zu generieren und im großen Stil zu verbreiten – oder zu erkennen. Die Professionalität der Fakes wird mit der Weiterentwicklung der KI zunehmen. Doch ergibt sich daraus eine große Chance für Redaktionen: Die Funktion von Journalismus, Fakten von Falschinformationen zu trennen, wird dadurch massiv an Wert zunehmen.

Die Zusammenarbeit der Tech-Konzerne und Medienhäuser bietet sich hier an. Facebook hat sich in Deutschland bereits mit dem Recherchenetzwerk Correctiv zusammengetan, um Hate Speech und Fake News auf ihrem Portal zu begegnen. Verdächtige Beiträge werden in kürzester Zeit gekennzeichnet.

Eine weitere Chance, die sich für klassische Redaktionen ergebe, zitiert Beckett den Studienreport, sei das Phänomen des Slow Journalism. Tagesaktuelle, schnelle Meldungen kann die KI übernehmen, aber für umfassende und gut recherchierte Hintergrundbeiträge kommt sie bisher nicht in Frage. Das Problem ist nicht nur, dass sie Fakten oder Quellen einfach erfindet, sondern, dass sie Bias, also Verzerrungen in der Wahrnehmung, verstärkt. Zum Beispiel überwiegend den Globalen Norden in der Berichterstattung fokussiert oder rassistische Sichtweisen reproduziert.

Die KI – ein Prakti?

Ein Bereich, der für Slow Journalism prädestiniert erscheint, ist die Berichterstattung über eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: den Klimawandel. Uwe H. Martin, ebenfalls Sprecher auf dem b° future festival, betrachtet mit seiner Partnerin Frauke Huber seit 2007 die Folgen der Landwirtschaft auf den Klimawandel. Besonders einprägsam: Für ein Pfund Mandeln, angebaut im von Dürre betroffenen Kalifornien, werden über 5.500 Liter Wasser benötigt, das sind zwölf Liter pro Stück.

Im weiteren Verlauf des Festivals gibt sich Simon Hof, Leiter „Journalistische Services“ bei RTL, indes gelassen und berichtet: „Wir behandeln generative KI wie einen guten Praktikanten“. Im Großen und Ganzen sind sich alle Diskussionsteilnehmende einig: Bisher kann KI menschlichen Journalismus nicht ersetzen, viel mehr taugt sie als Assistenz. Sie entlastet Redakteur:innen von redundanten Arbeiten und schafft mehr Freiraum für anspruchsvollen investigativen Journalismus und die großen Themen unserer Zeit.

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