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Südosteuropa nicht hängen lassen

Von Nico Schmolke / 6. Oktober 2015
Foto: Kevin Kepler

Rumänien wird von einer gewaltigen Korruptionsaffäre erschüttert. Spannende Zeiten für Matthias Jobelius, der seit 2012 das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bukarest leitet. Im Interview prangert er die Perspektivlosigkeit vieler Menschen in Osteuropa an. Die EU dürfe sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, sondern müsse das Auseinanderdriften Europas stoppen.

Herr Jobelius, was ist derzeit in Rumänien das bedeutendste politische Thema?

Ganz klar die Korruptionsbekämpfung. Jedes Jahr werden 1.000 Ermittlungsverfahren gegen hohe oder höchste Amts- und Mandatsträger eingeleitet. Es vergeht eigentlich kein Tag ohne Zeitungsmeldungen mit neuen Vorwürfen, neuen Anklagen. Die unabhängigen Antikorruptionsbehörden arbeiten sehr erfolgreich. Dennoch, je effizienter die Strafverfolgung ist, desto größer wird der Gegendruck aus klientelistischen Netzwerken. Versuche, die Kompetenzen der Antikorruptionsbehörden einzuschränken, blieben zum Glück bislang erfolglos.

Wie reagiert die Bevölkerung darauf?

Politikverdrossenheit schlägt an vielen Stellen in Politikverachtung um. Das Vertrauen in die Parteien und das Parlament ist laut Umfragen extrem gering.

Das betrifft ja viele Staaten Osteuropas. Die Politik scheint die Erwartungen nach dem Systemwechsel 1989 nicht erfüllt zu haben.

Rumänien ist nach wie vor im Übergang und damit ein typisches post-kommunistisches Transformationsland. Es gibt beispielsweise einen sehr großen informellen Sektor, der 30 Prozent des BIP erwirtschaftet. Die dort Beschäftigten haben keinen Zugang zu Krankenversicherungen und arbeiten oft ohne Arbeitsvertrag. Zudem ist die Landwirtschaft aufgebläht und unproduktiv. Knapp ein Drittel der Rumänen arbeiten in diesem Sektor, meist in kleinsten Familienbetrieben. In der Politik gibt es bis heute kein programmatisch orientiertes Parteiensystem. Die inhaltliche Substanz der Parteien ist sehr schwach.

Konnte der EU-Beitritt hier nicht Abhilfe schaffen?

Rumänien hat sich dadurch europäischen Werten verpflichtet. Die gute Arbeit der Antikorruptionsbehörden ist maßgeblich auf die Intervention der EU zurückzuführen. Doch das ist kein Selbstläufer. Die EU ist keine Einbahnstraße nach vorne. Rumänien ist ein Beispiel dafür, dass einmal erreichte Errungenschaften auch wieder rückgängig gemacht werden können. Wir haben in der EU kaum Verfahren, um die Demokratie und die Menschenrechtssituation in einem Mitgliedsstaat einem Monitoring zu unterwerfen. Wenn man einmal in der EU ist, wird angenommen, man sei eine vollentwickelte Demokratie. Tatsächlich ist dieser Prozess in vielen Ländern auch von Rückschritten geprägt.

Ist letztlich nicht auch die enorme Abwanderung eine Folge der EU-Integration? Viele Rumänen nutzen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und verlassen das Land.

Das ist tatsächlich ein massives Problem. Die Bevölkerung altert enorm schnell. Zudem gibt es besonders im Gesundheitssektor einen massiven Braindrain. Die Ärztedichte in Rumänien wird immer schlechter. Wenn ein Chefarzt 400 Euro netto verdient, dann geht er halt woanders hin. Zwar steigen dadurch die Heimüberweisungen. Sie fließen aber nicht in Investitionen, sondern in erster Linie gehen sie in den Konsum. Das hilft bei der Modernisierung der Wirtschaft nicht. Und diese Abwanderung wird anhalten. 40 Prozent der Jugendlichen wollen auswandern, wenn sich eine Chance bietet. Das wird so bleiben, so lange Rumänien bei den Einkommen und sozialen Standards nicht zum EU-Durchschnitt aufschließt.

Ist es denn realistisch, dass europäische Standards erreicht werden?

Momentan erleben wir in der EU eher eine wachsende Divergenz. Das Einkommens- und Wohlstandsgefälle innerhalb der EU wächst. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich das bald ändert.

Das klingt aber nicht sonderlich optimistisch.

Rumänien ist prototypisch für die Region. In ganz Südosteuropa sind die sozialen Lagen sehr angespannt. Viele Leute sehen keine Perspektive für sich. Klientelismus, Korruption, niedrige Einkommen, die Probleme sind dieselben. Die EU muss sich diesem Teil Europas intensiver widmen. Sonst gehen die Diskrepanzen noch weiter auseinander und die Spannungen nehmen zu.

Von dieser angespannten Situation sind vor allem Minderheiten betroffen.

Die Gesellschaft ist konservativ. Viele Leute tun sich schwer mit Neuem und empfinden Flüchtlinge als Bedrohung. Das erklärt den restriktiven Kurs der Regierung. Außerdem gehören Roma nach wie vor zu den am meisten von Armut betroffenen Bevölkerungsteilen. Die Mehrheitsgesellschaft hat viele Vorurteile. Roma besuchen schlechte Schulen, arbeiten oft im angesprochenen informellen Sektor, werden diskriminiert. Sexuelle Minderheiten kommen in der Öffentlichkeit fast gar nicht vor.

Es muss doch auch positive Entwicklungen geben. Welchen Beitrag kann Rumänien zur Entwicklung Europas leisten?

Die EU hat hohe Vertrauenswerte in Rumänien. Das liegt unter anderem am mangelnden Vertrauen in die eigene politische Elite. Die EU wird als Korrektiv gesehen, das von außen wichtige Interventionen leistet. Das betrifft vor allem die Korruptionsbekämpfung. Rumänien hat eine starke Brückenfunktion zwischen Ost und West. Die Ukraine ist Nachbarland, genauso wie die Republik Moldau. Beim Assoziierungsverfahren dieser Länder kann Rumänien Mittler sein. Und Rumänien muss uns daran erinnern, dass wir uns endlich um die Entwicklung Südosteuropas kümmern müssen.

Werden wir in Europa diese Herausforderung meistern?

Die EU darf sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Das lernt man schnell, wenn man in einem Land wie Rumänien arbeitet. Demokratie und wirtschaftliche Erfolge sind Prozesse, die auch wieder umgekehrt werden können. Die müssen immer wieder neu erkämpft werden. Im Bereich der Demokratieförderung haben wir in vielen Ländern Stillstände und die Gefahr von Rückschritten. Wenn wir in der EU als demokratisches Projekt bestehen wollen, müssen wir uns dem annehmen.

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