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Was heißt hier Ehrensache?

Von Adrian Arab / 29. August 2017
picture alliance/dpa | Andreas Arnold

Nicht erst seit der „Flüchtlingskrise“ spielen Ehrenamtler eine wichtige Rolle in Deutschland. Dabei besetzen sie zunehmend einst reguläre Arbeitsstellen. Schadet das der Gesellschaft?

Die sogenannte Flüchtlingskrise hat Deutschland wachgerüttelt. Zum einen, weil Sorgen vor einer angeblichen Überfremdung politische Positionen von rechts offenbart haben, die nun nicht mehr unter den Teppich zu kehren sind. Zum anderen, weil das Land über der Herausforderung, hunderttausende Menschen zu integrieren, zusammengewachsen ist.

Dass die Situation der hier angekommenen Geflüchteten von einem anfänglichen Chaos bald in eine einigermaßen verlässliche Ordnung überführt wurde, ist einem Kraftakt etlicher engagierter Bürger zu verdanken. Diese Menschen leisten Hilfe und Unterstützung, ohne dafür Geld zu erwarten. Aber tut es unserer Gesellschaft gut, wenn das Ehrenamt immer mehr Raum ein- und gesellschaftliche  – oder besser: staatliche – Aufgaben übernimmt?

Ehrenamt ja – nur nicht unter allen Umständen

Nein, meinen selbst Ehrenamtler. Etwa Maria Ebert von der Gewerkschaft für Ehrenamt und freiwillige Arbeit im Interview mit der tageszeitung. “Ehrenamt sollte nicht notwendig sein, um gesellschaftliche Ausschlüsse aufzufangen”, so Ebert. Sie bezeichnet das Ehrenamt als “Add-On”. Ebert spricht sich dafür aus, das Ehrenamt überflüssig zu machen, ohne es abzuschaffen. Ein Ehrenamt sollte kein Lückenbüßer dafür sein, wenn der Staat notwendige Leistungen nicht selbst erbringen kann oder will.

In Deutschland betätigen sich rund 23 Millionen Menschen ehrenamtlich. Sie trainieren Fußballvereine, haben ein offenes Ohr für ältere Menschen oder bringen Geflüchteten deutsche Vokabeln bei. Geld bekommen sie dafür nicht, aber ermäßigte Eintritte in Museen und natürlich Lob. Immer wieder. Etwa von der Bundeskanzlerin, die bereits in zahlreichen Neujahrsansprachen den Ehrenamtlern dankte.

Doch wenn der Staat die Arbeit von Ehrenamtlern bewusst einkalkuliert, nutzt er sie eigentlich aus. Das ist dann nichts anderes als ein gesellschaftlicher Missstand.

Ein Blick in die hiesigen Deutschkurse veranschaulicht das Problem. Für Zuwanderer ist eine Integration langfristig nur dann möglich ist, wenn sie die Sprache ihrer Mitmenschen sprechen. Allerdings wurden besonders in den vergangenen Jahren Sprachkurse von zahlreichen Freiwilligen geleitet, auch, weil dieses Engagement vom Staat gezielt gefördert wurde. So hat das Goethe-Institut, immerhin staatlich verantwortlich für die auswärtige Kulturpolitik, im Jahr 2015 nicht wenige ehrenamtliche Lehrer ausgebildet, die Flüchtlingen Deutsch beibringen sollen. Angestellt wurden sie dafür nicht. Kurzfristig ist das sicherlich in Ordnung – langfristig keineswegs. Immerhin ist der Beruf des Lehrers ein Studienberuf, der entlohnt gehört.

Ein weiteres Beispiel für diese fatale Entwicklung sind die Tafeln, von denen es Deutschlandweit rund 900 gibt. Circa 50.000 ehrenamtliche Helfer versorgen in diesem Rahmen Obdachlose mit Lebensmitteln. Weil manche Jobcenter gegenüber Arbeitslosen inzwischen offen auf dieses Angebot verweisen, wenn das Geld am Ende des Monats nicht reicht, finden sich dort zunehmend auch Menschen, für die der Dienst nie gedacht war. Die Tafeln schließen damit Versorgungslücken, für die originär der Staat die Verantwortung trägt.

Oft fehlt die Professionalisierung

Ehrenamtler können und sollen hauptamtliche Berufe nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen. Zu oft fehlt es an hinreichender Kompetenz, an notwendiger Professionalität. Es gilt das Prinzip, aus wenig so viel wie möglich herauszuholen. Das ist eine Leistung, die man nicht genug wertschätzen kann. Aber man darf sich nicht wundern, wenn Fehler geschehen.

Im Fall des Berliner Vereins Moabit Hilft nahm dieses Engagement beinahe tragische Züge an. Die Vereinsmitglieder kümmerten sich auf der Höhe der Zuwanderung 2016 gänzlich unbürokratisch um besonders viele bedürftige Menschen. Als jedoch im Januar eine Falschmeldung die Runde machte, dass ein Flüchtling bei Minusgraden vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales wartend erfroren sei, war der Sturm der Entrüstung nicht mehr einzudämmen. Moabit Hilft hatte mangels Kapazität und Medienkenntnis keine Chance, der Wahrheit die Ehre zu geben. Anders als ein hauptamtlicher Pressesprecher.

Dass ehrenamtliche Arbeit auch andere Wege gehen und dabei sogar staatlich unterstützt werden kann, zeigt das Beispiel der Aids-Hilfe in Deutschland. Die in den 1980ern freiwillig geleistete Unterstützung wurde mit der Zeit derart professionalisiert, dass sich stabile Lohnstrukturen etablieren und feste Jobs geschaffen werden konnten. Gleiches gilt für Hospize und andere palliative Einrichtungen wie die Caritas, den Malteser Hilfsdienst oder die Diakonie. Auf diese einst auf ehrenamtliche Initiativen hin gestartete Sozialarbeit kann und will die Gesellschaft nicht mehr verzichten. Also ist sie Teil des regulären Arbeitsmarktes geworden.

Eine Antwort zu “Was heißt hier Ehrensache?”

  1. Von Ralf René Gottschalk am 25. Februar 2018

    Ich danke sehr für den Artikel, dessen Argumente wir auch vor dem Hintergrund des Wandels von Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe diskutieren sollten.

    Digitalisierung, Automatisierung und virtuelle Netzwerke machen „neues Arbeiten“ möglich und erforderlich. Ebenso schaffen sie neue Möglichkeiten für die Ehrenamtlichkeit, vor allem für das freiwillige soziale Engagement, das sich oftmals durch Ungebundenheit, Unabhängigkeit, Eigensinn sowie durch Spontanität und Punktualität in seinen Wirkungen zeigt und definiert.

    Können wir umdenken?

    Was wäre, wenn wir das bedingungslose Grundeinkommen bereits hätten, und jeder Mensch damit die Wahlfreiheit erhält sich für eine zusätzlich bezahlte Arbeit zu entscheiden oder für ein damit auch bezahltes freiwilliges soziales Engagement? Gerne mit kostenfreien Qualifizierungsangeboten (Gedanke der Professionalisierung).

    (Erwerbs)Arbeit und freiwilliges Engagement müssten dann definitorisch in einem anderen Verhältnis zueinander stehen. Das würde ebenso zu einer Erweiterung des bisherigen Verständnisses von Work-Life-Balance-Konzepten führen. Denn, gegenwärtig kann freiwilliges Engagement nur in der Freizeit (Life), d. h. außerhalb, des klassischen Definitionsrahmens von Erwerbsarbeit (Work) stattfinden.

    Freiwilliges soziales Engagement als ein „neuer“ Wirtschaftsfaktor im Sinne der Bildung von sozialem Kapital (gesellschaftliche, solidarische und demokratische Bindung und Verbundenheit), allerdings ohne die Risiken des (monetären) Kapitalmarktes. Wie wäre das?

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