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Zeit für ein Atomwaffenverbot

Von Julia Berghofer / 15. Oktober 2015
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

70 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki steigen die Chancen für ein Verbot der schlimmsten aller Massenvernichtungswaffen. Eine große Mehrheit der Staaten spricht sich mittlerweile für einen Vertrag aus, der Atomwaffen ächtet. Die deutsche Regierung hält ein solches Projekt derzeit noch für unvereinbar mit ihrer NATO-Mitgliedschaft.

Mit der Erfindung der Atomwaffe hat die Mensceit ein Übel auf den Plan gerufen, das sie bisher nicht wieder loswerden konnte. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges gibt es weltweit immer noch fast 17.000 Sprengköpfe, von denen allein die USA und Russland je mehr als 8.000 besitzen. Wenngleich vor allem diese beiden Akteure ihre schwindelerregenden Arsenale zahlenmäßig bereits stark reduziert haben, setzt mittlerweile ein Modernisierungswettlauf ein, der Atomwaffen nicht nur präziser macht, sondern auch ihre potenzielle Sprengkraft massiv erhöht.

Ursprünglich sollte der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) das in die Wege leiten, was auf uni- und bilateralem Wege nicht möglich war: die Abrüstung der Kernwaffenarsenale auf einer gegenseitigen Vertrauensbasis, mit wirksamen Verifikationsmechanismen und einer gewissen Verbindlichkeit.

Von Anfang an krankte das internationale Abkommen, welches mit 191 Vertragsparteien nahezu global gültig ist, an vielen Stellen. Zum einen garantiert der NVV denjenigen Staaten, die vor 1970 Kernwaffen entwickelt haben (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich) einen legalen Status als Atommächte, von dem die anderen Mitglieder ausgeschlossen werden.

Zum anderen herrscht bis heute keine Klarheit, wie die vage gehaltenen Abrüstungsverpflichtungen aus Artikel VI des NVV konkret auszulegen sind. Mit Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea gibt es vier Kernwaffenstaaten außerhalb des NVV, ohne Aussicht darauf, dass sie sich in absehbarer Zeit in das Abrüstungsregime eingliedern werden.

Der Nichtverbreitungsvertrag zwischen Konsens und Scheitern

Der NVV laviert daher seit Jahrzehnten zwischen Konsens und Scheitern, zwischen einem Aufeinander-Zugehen der Staaten und einem ideologischen Auseinanderdriften. Während die Staatengemeinschaft 1995 noch jubelte, weil der ursprünglich auf 25 Jahre limitierte NVV auf unbegrenzte Dauer verlängert wurde, sah man sich auf der Überprüfungskonferenz zehn Jahre später mit einem diplomatischen Scherbenhaufen konfrontiert, weil am Ende der vierwöchigen Verhandlungen kein konsensual beschlossenes Abschlussdokument stand.

2010 wurde das Treffen im UN-Hauptquartier in New York als großer Erfolg gewertet: Man hatte sich auf einen 64 Punkte umfassenden Aktionsplan geeinigt, der den Weg zu konkreten Abrüstungsschritten erleichtern sollte. Nachdem kaum welche von den Maßnahmen umgesetzt worden waren, gingen die Vertragsmitglieder im Mai 2015 einmal mehr frustriert auseinander.

Das Scheitern der letzten Konferenz kann nur zu einem Teil mit der aktuellen Großwetterlage erklärt werden. Die Krise in der Ukraine und der NVV-interne Disput über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten polarisiert zwar. Dennoch stehen sich mittlerweile im Abrüstungsregime nicht mehr primär diejenigen Staaten gegenüber, die sich während des Kalten Krieges gegenseitig mit ihren Sprengköpfen bedroht hatten.

Die USA und Russland ebenso wie China, Frankreich und Großbritannien haben schon lange zu dem Einverständnis gefunden, konkrete Zusagen zu vermeiden und Atomwaffen weiterhin als notwendigen und vermeintlich probaten Bestandteil nationaler Sicherheitsstrukturen darzustellen. Mithin bewerben sie die Vorteile von Atomwaffen, die den übrigen 186 Staaten des NVV verwehrt bleiben. Die tatsächliche Kluft wird immer größer: Während eine Minderheit nur über abstrakte Sicherheitsgewinne reden will, die sie Atomwaffen zuschreibt, sorgt sich die große Mehrheit um die verheerenden Folgen für Mensch und Natur.

Die verheerenden Folgen von Kernwaffen rücken in den Mittelpunkt

Mittlerweile haben sich 159 Staaten zur sogenannten Humanitären Initiative zusammengeschlossen, die 2010 ihre Anfänge nahm. Unterstützt von der Zivilgesellschaft, NGOs, Juristen, Ärzten und Wissenschaftlern haben diese Länder in kurzer Zeit einen Diskurswandel eingeleitet, der die „katastrophalen humanitären Konsequenzen“ thematisiert und der spieltheoretisch ausgerichteten Argumentationsstrategie der Atommächte und ihrer NATO-Partner ein ethisch-moralisches Gegennarrativ liefert, das Kernwaffen als solche delegitimiert.

Die humanitäre Perspektive ist bisher auf drei Konferenzen diskutiert worden, die als Ergänzung zum NVV 2013 und 2014 in Norwegen, Mexiko und Österreich stattgefunden haben. Auf diesen Veranstaltungen äußerten sich Diplomaten und Wissenschaftler zu den Folgen einer gewollten oder ungewollten Kernwaffendetonation und machten Szenarien greifbar, die sich niemand vorstellen möchte: nuklearer Winter, Strahlenkrankheit, Hunger, Flucht, Tod.

„Die heutigen Atomwaffen haben das Vielfache der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Selbst ein kleiner Atomkrieg, zum Beispiel zwischen Indien und Pakistan, würde Millionen Menschen töten und etwa zwei Milliarden Menschen aufgrund von Klimaveränderungen in die Hungersnot treiben“, sagt Inga Blum, Vorstandsmitglied der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). „Nach einem Atomwaffeneinsatz wäre jede medizinische und humanitäre Hilfe unmöglic“

Atomwaffenverbot könnte die Blockade in den NVV-Verhandlungen beenden

Im Gegensatz zu den aktuellen NVV-Verhandlungen resultierte aus den humanitär orientierten Staatentreffen ein politischer Outcome, der als mögliche Lösung des Stillstandes im Abrüstungsregime gehandelt wird. Initiiert von der österreichischen Regierung wurde die „Humanitarian Pledge“ lanciert – eine Selbstverpflichtung, der sich seit vergangenem Dezember bereits 119 Staaten angeschlossen haben, die ein Atomwaffenverbot fordern.

Ähnlich wie beim Verbot von Landminen, Streubomben und Chemiewaffen besteht die Idee darin, Atomwaffen international zu ächten, mit oder ohne Beteiligung der Atommächte. Die Hoffnung liegt auf dem politischen Druck, den eine Mehrheit der Staaten auf die Kernwaffenbesitzer und diejenigen Staaten, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO Atombomben auf ihrem Territorium stationiert haben, ausüben könnte.

„Der Einwand, ein Atomwaffenverbot ohne die nuklear bewaffneten Staaten würde nichts bringen oder wäre gar kontraproduktiv und unterminiere den Nichtverbreitungsvertrag, setzt einen herzzerreißenden Mangel an völkerrechtlichem Verständnis voraus“, sagt Leo Hoffmann-Axthelm, Experte der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Das Konzept des Verbotsvertrags geht von ICAN aus und wird von einem Großteil der zivilgesellschaftlichen Akteure mitgetragen. Die Argumente der humanitären Bewegung bringen die sicherheitspolitischen Akteure regelmäßig in Erklärungsnot.

Die deutsche Position

Bisher hat sich Deutschland weder der Humanitären Initiative noch der Selbstverpflichtung angeschlossen. Als NATO-Mitglied, das rund 20 Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel stationiert hat, argumentiert die Bundesregierung, ein Verbot sei mit der Bündnisverpflichtung nicht zu vereinen. Stattdessen wird das Arsenal derzeit modernisiert – ein Prozess, der mit technischer Sicherheit gerechtfertigt wird, letztendlich aber zum Ziel hat, eine neue, zielgesteuerte Waffe herzustellen.

Die Mitgliedschaft in der NATO steht jedoch zumindest der humanitären Bewegung nicht entgegen. Dänemark, Norwegen und Island sind hierfür die besten Beispiele. Alle drei Staaten gehören dem Bündnis an und sind trotzdem der Humanitären Initiative beigetreten. Besonders Norwegen hat sich in den vergangenen Jahren engagiert, unter anderem als Gastgeber der ersten humanitären Konferenz in Oslo.

Im Mai forderte die norwegische Arbeiderpartiet die Regierung in einer Resolution auf, sich aktiv für die Eliminierung von Atomwaffen einzusetzen. Dem strategischen Konzept der NATO von 2010 steht dieses Anliegen nicht entgegen – immerhin bekräftigt es die Absicht, die Bedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Allerdings heißt es darin auc „So lange es Atomwaffen in der Welt gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben.“

Möglicherweise ist es diese Zusatzklausel, die einige Regierungen davon abhält, sich unilateral zur humanitären Bewegung zu bekennen. Dennoch hat selbst NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, bis 2014 Vorsitzender der Arbeiderpartiet, bestätigt, dass die Forderung nicht in Konflikt mit der NATO-Politik stünde. Gleichzeitig verabschiedete auch das niederländische Parlament im April dieses Jahres eine Resolution, in der es die Regierung auffordert, sich aktiv an Verhandlungen über einen Verbotsvertrag zu beteiligen. Die Opposition forderte außerdem eine führende Rolle der Niederlande in solchen Verhandlungen.

Gerade diejenigen Staaten, die in die nukleare Teilhabe eingebunden sind, sind in der Lage, einen effektiven Druck auf die Atommächte auszuüben, der den Erfolg eines Verbotsvertrages erheblich unterstützen würde.

Der Zeitpunkt für einen „Ban Treaty“ scheint günstig. Aus historischer Perspektive sei der Nichtverbreitungsvertrag zwar erfolgreic äußerte sich der österreichische Direktor für Abrüstung und Initiator der Selbstverpflichtung Alexander Kmentt kürzlich auf einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung. „Immerhin ist die Zahl der Kernwaffenstaaten bisher nicht explodiert.“ Die Glaubwürdigkeitsdefizite und die Ungleiceit im NVV blieben dennoc „Das Momentum für einen Verbotsvertrag wird stärker“, so Kmentt. Nicht zuletzt, weil stets die Frage bliebe: Bringen Atomwaffen tatsächlich mehr Sicherheit?

Externe Verweise:

Katarzyna Kubiak: Hold-out or silent supporter? Implications of the Humanitarian Initiative on Nuclear Weapons for Germany, FES International Policy Analysis, July 2015, http://library.fes.de/pdf-files/iez/global/11525.pdf

Leo Hoffmann-Axthelm: Atomwaffen ächten – Die humanitäre Notwendigkeit eines Verbotsvertrags, April 2015, http://www.icanw.de/neuigkeiten/atomwaffenverbot/

Strategic Concept for the Defense and Security of the Members of the North Atlantic Treaty Organization, http://www.nato.int/lisbon2010/strategic-concept-2010-eng.pdf

Sigrid Z. HeibergICAN: Norway, NATO and the NPT, http://www.icanw.org/campaign-news/norway-nato-and-the-npt/

Tiergarten Conferences (FES), http://www.tiergarten-conference.org/

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