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Zur Passivität verdammt

Von Hilistina Banze / 17. Januar 2017
Maradi im Süden des Niger / picture-alliance/ ZB | Tom Schulze

Das westafrikanische Land Niger, in hiesigen Medien allenfalls bekannt im Zusammenhang mit Terror und Flucht, ist das neue Zuhause von Hilistina Banze. Ihre ersten Eindrücke sind ernüchternd: Viele der Bewohner üben sich in falscher Zurückhaltung.

Seit Anfang Dezember wohne ich mit meinem Mann bei seiner Familie in Niamey, der Hauptstadt von Niger. Niger gilt als eines der ärmsten Länder der Welt, aber ich kenne viele Menschen von dort, empfinde sie trotzdem als offen, respektvoll und hilfsbereit. Vor allem die Frauen versuchen, immer selbstbewusster aufzutreten. Das möchte ich unterstützen. Auch darum bin ich hierher gezogen, um von ihnen zu lernen und um mit ihnen nach ihren Stärken zu suchen.

Meine Bilanz nach einigen Wochen hier? Weniger als der ärmliche Dauerzustand belastet mich die offensichtliche Korruption, die permanente und unersättliche Suche nach dem eigenen Vorteil, die Ausbeutung Schwächerer, die geradezu versklavt und zum Betteln gezwungen werden, alle Lebensbereiche umfassen. Zugleich sehen alle, dass etwa ein Zollbeamter, der eigentlich höchstens ein mittleres Gehalt bezieht, zwei teure Autos fährt und eine dekadente Villa baut. Jeder weiß, dass das Geld nicht auf ehrliche Weise verdient worden sein kann. Aber alle schweigen.

Die Menschen verhalten angesichts all dieser Ungerechtigkeiten passiv und wähnen sich wehrlos, da sie Angst haben, ihren Status zu gefährden. Jene, die alles haben, wollen nicht abstürzen. Jene, die nichts oder nur wenig haben, wollen durch Widerworte nicht die Chance auf ein Stück vom Kuchen riskieren.

Einfach fallen lassen

Schlimm ist auch der Müll. Überall liegt Müll. Nicht wie in Deutschland eine Zigarettenschachtel hier und da. Nein, ganze Mülltürme, auf denen Kinder spielen und Ziegen grasen, schmücken die abgasverpesteten Straßen. Mülleimer gibt es nur vereinzelt, aufgestellt von Nichtregierungsorganisationen, welche sich für Recycling einsetzen.

Sauber stellen sich dagegen die Gehwege vor den Mauern unzähliger Villen dar. Warum sind diese überreichen Menschen nicht in der Lage, in ein allgemeines Müllentsorgungssystem zu investieren und nicht nur für sich, sondern für die ganze Gemeinschaft Gutes zu tun?

Eine Bekannte meint, ich würde mich bald daran gewöhnen und müsse akzeptieren, dass mein Wunsch, Niger vom Müll zu befreien, lächerlich sei. „Der Mülleimer ist überall. Einfach fallen lassen und sich nicht die Stimmung davon verderben lassen“, rät sie mir. Hin und wieder sehe ich Ladenbesitzer, die den Gehweg vor ihrem Geschäft reinigen. Sie werfen den Dreck auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort ist er nicht mehr ihre Angelegenheit.

Wenn ich Müll von der Straße auflese, belächeln mich die Nachbarn, während ich die von ihren Kindern benutzten Windeln einsammle. Selbst mitmachen würden sie nur, wenn ich sie dafür bezahle.

Fluchtursachen bekämpfen

Knapp 20 Millionen Menschen leben in Niger. Tendenz steigend, da hier mit rund sieben Kindern pro Frau einer der weltweit höchsten Geburtsraten besteht. Außerdem verläuft eine der zentralen Flüchtlingsrouten durch den Staat. Aber die meisten Menschen bewohnen nur ein Drittel des Landes.

Geld für beziehungsweise gegen den Zuzug von Flüchtlingen auf das europäische Festland gibt es. Sogar von der deutschen Bundesregierung, die Präsident Mahamadou Issoufou kürzlich 17 Millionen Euro Direkthilfe gegen Schleuser versprochen hat. Auch die Vereinten Nationen investieren – in Aufklärungkampagnen für Verhütungsmittel.

In Europa reden Entscheidungsträger davon, „Fluchtursachen bekämpfen“ zu müssen. Im Müll leben zu müssen, ist kein schönes Leben. Hinzu kommt: Die Umweltverschmutzung hat nicht nur durch die Ölverschmutzung im Nigerdelta längst ein katastrophales Level erreicht und Lebensgrundlagen wie die Fischerei fast vollständig vernichtet. Heute gibt es neben der harten Arbeit im Bergbau kaum nennenswerte Wirtschaftszweige. Wer als Lehrer oder Polizist arbeitet, wird teilweise monatelang nicht bezahlt.

Dabei ist die beste Hilfe, vor Ort anständige Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Nigrer zu schaffen. Es gibt genug zu tun in Niger. Es bedarf nur eines allumfassenden Konzepts, welches die Reichen in die Verantwortung nimmt und die Armen aus ihrer Passivität heraushebt, sodass auch diese eigenständig werden und sich wehren können. Nicht nur gegen den Müll.

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