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ProWir müssen uns alle integrieren

Von Lara Falkenberg / 1. Januar 2016
picture alliance / PantherMedia | Kzenon

Wenn Deutschland seine Rolle als Einwanderungsgesellschaft finden soll, müssen wir aufhören, zu überlegen, wie sich „die Anderen“ integrieren können, und anfangen, über uns selbst zu sprechen. Denn Integration ist nicht nur ein Thema der Ausgegrenzten, sondern vor allem eines der Ausgrenzenden.

„Wir sind wieder… wer?“ titelte der Spiegel im Juli 2014. Das Fragezeichen spiegelt die Suche nach einer Identität wider, die der Bevölkerung in Deutschland gerecht wird. Jeder Dritte in Deutschland hat eine Familie mit Migrationsgeschichte. Allein im Jahr 2015 haben knapp 400.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland gestellt.

Deutschland ist ein Einwanderungsland – und das schon lange. Die Frage lautet also nicht, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern was für eines es ist. Auf diese Frage gibt es 2015 vor allem traurige Antworten: Die Medien berichten fast täglich von Angriffen auf die Unterkünfte von Geflüchteten. Im Hörsaal meiner Universität sitzen in einem sogenannten interkulturellen Studiengang von 30 Studierenden 29 Deutsche ohne Migrationserfahrung. Bei der Weihnachtsfeier wird ernsthaft behauptet, alle Probleme ließen sich lösen, wenn „die mit ihrer anderen Kultur“ sich nur integrieren würden.

Integration als Aufgabe für alle

Ich habe einen Vorschlag für 2016: Wir könnten mal über uns selbst reden. Darüber, was wir für „normal“ halten und welche Bilder in unseren Köpfen herumspuken, wenn wir über „Einwanderer“, „Ausländer“ oder „Menschen mit Migrationshintergrund“ sprechen.

Denn Integration ist nicht nur ein Thema der Ausgegrenzten, sondern vor allem auch eines der Ausgrenzenden. Integration setzt das Mitwirken beider Seiten voraus: Einerseits die Bereitschaft der Eingewanderten, sich in die Gesellschaft einzubringen; andererseits die Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft, sich zu öffnen und die Eingewanderten teilhaben zu lassen. Doch wenn Menschen aufgrund ihrer Religion, ihres Aussehens oder ihrer Herkunft ausgegrenzt und diskriminiert werden, können sie sich nicht als Teil der Gesellschaft fühlen.

Fremd im eigenen Land

„Nicht anerkannt / fremd im eigenen Land / kein Ausländer und doch ein Fremder“:Diese Zeile aus dem Hip-Hop-Track „Fremd im eigenen Land“ von Advanced Chemistry ist heute noch genauso aktuell wie im Erscheinungsjahr 1992.

Viele Menschen, die in Deutschland leben, die hier sogar geboren sind, machen die Erfahrung, als „anders“, als „fremd“ wahrgenommen zu werden. Wer nicht blütenweiße Haut hat, wer ein Kopftuch trägt, wer nicht in die unrealistische, altbackene Vorstellung des „typischen Deutschen“ passt, wird gefragt: „Woher kommst du? Deine Eltern haben bestimmt ein Restaurant, oder?“ Das sind nur zwei der vielen Vorurteile, von denen betroffene Menschen unter dem Hashtag #AuchichbinDeutschland auf Twitter erzählen.

Bilder in den Köpfen

Das Problem an diesen Fragen ist, dass sie sich wiederholen. Hinter ihnen steckt die Vorstellung, dass die anders sind als wir. Und dass wir eigentlich schon wissen, wie die sind. Denn dafür gibt es eine ganze Reihe Stereotype und Vorurteile.

Laut der repräsentativen Studie „Deutschland postmigrantisch“ der Humboldt-Universität zu Berlin glauben 26 Prozent der Befragten, Muslime seien generell aggressiver. 30 Prozent halten Muslime für weniger bildungsorientiert.

Ozan Keskinkilic, Rassismusforscher an der Alice Salomon Hochschule Berlin, erklärt, wie diese Bilder bestimmen, wie über Migration gesprochen wird: „Es sind die gängigen Schlagworte: Frauenunterdrückung, Integrationsverweigerung, Parallelgesellschaft, Radikalisierungen, Terrorismus, Kriminalität. Rassismus erklärt die Welt sehr einfach: Die Fremden sind anders, weil ihre Kultur und Religion anders sind“, so Keskinkilic. „Hier Moderne, dort Tradition, hier Freiheit, dort Unterdrückung, hier Entwicklung, dort Unterentwicklung, hier Geschlechtergleichheit, dort Geschlechterungleichheit. Die Anderen sind alles, was man selbst nicht ist.“

Aus Bildern wird Realität

Diese Bilder sind weit verbreitet und schaffen gesellschaftliche Realität. Wer nicht-deutsch aussieht, wessen Nachname nicht-deutsch klingt, der hat auf dem Arbeitsmarkt ebenso Nachteile wie bei der Wohnungssuche. Denn nicht nur springerstiefeltragende Pegida-Demonstranten haben Stereotype im Kopf, sondern auch Lehrer, Journalisten und Polizisten.

Eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) zeigt, dass die Angabe eines türkischen Namens die Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch um bis zu 24 Prozent reduziert.

Die Pisa-Studie von 2010 belegt, dass Schülern mit Migrationshintergrund bei vergleichbarer Leistung eher davon abgeraten wird, auf ein Gymnasium zu gehen, als Schülern ohne Migrationshintergrund.

Laut dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes sind Deutsche mit Migrationshintergrund zu 26,6 Prozent armutsgefährdet und haben ein Einkommen, das weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt.

Der Name oder das Aussehen können also wie ein Schlüssel fungieren, mit dem die Tür zur Diskothek, zur Schule, einem Arbeitsplatz, zur Teilhabe in der Gesellschaft geöffnet wird oder verschlossen bleibt. Vorurteile schaffen Ungleichheiten in der Gesellschaft – und erklären sie zugleich.

„Es werden Unterschiede gesucht, nicht selten erfunden, um die Diskriminierung der anderen Gruppe damit zu erklären“, sagt Ozan Keskinkilic. „So richtet sich der Blick auf Menschen, die scheinbar nicht in diese Gesellschaft passen und zurechtgebogen werden müssen.“ Dieses Zurechtbiegen klingt dann meist so: Die sollen sich halt anpassen. Das richtet den Blick weg von uns selbst.

Auf mich selbst blicken

Stattdessen sollten wir auf uns selbst blicken. Eine Einwanderungsgesellschaft kann nur entstehen, wenn wir Integration als Aufgabe aller ansehen. Wenn wir nicht länger von uns und denen sprechen und nach Unterschieden suchen, die zurechtgebogen werden müssen.

Wir sollten eine „Einheit der Verschiedenen“ anstreben, von der Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede zum 65-jährigen Bestehen des Grundgesetzes sprach. „Individuell können wir uns fragen: Mit welchen Bildern und Geschichten über die Anderen bin ich eigentlich aufgewachsen? Wo kommen diese Bilder her, was haben diese Bilder eigentlich mit mir und meinem Denken gemacht?“, sagt Mutlu Ergün-Hamaz vom Verein Phoenix e.V., der Menschen für Rassismus sensibilisieren will.

Durch die Arbeit von Vereinen wie Phoenix habe ich selbst vor drei Jahren begonnen, mir diese Fragen zu stellen. Ich habe festgestellt, dass ich überall in unserer Gesellschaft mit Vorurteilen über „Ausländer“ und „den Islam“ konfrontiert bin und diese selbst verinnerlicht habe. Diese Bilder einmal aus den Ecken meines Kopfes zu ziehen zeigte mir, dass ich keine Begründungen für sie hatte. Dass ich einfacher auf Menschen zugehen kann, wenn mein Blick nicht durch vorgefertigte Bilder verstellt ist. Und dass wir viel schneller in einer Einwanderungsgesellschaft ankommen, wenn wir aufeinander zugehen.

Lies weiter bei…

Debatte | Einig Einwanderungsland, Deutschland?

Contra | Ich, die Deutsche



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