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5/8: Wahlrecht allein reicht nicht

Von Annett Gröschner / 14. März 2018
picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

Als gesellschaftliche Spielart hat die Demokratie erstaunlich lange auf die Beteiligung von Frauen verzichtet. Diese späte Korrektur rächt sich. Denn die Rechte der Frauen sind noch längst nicht selbstverständlich.

„Sie erlangten das Wahlrecht, als mit dem Stimmzettel keine gesellschaftliche Veränderung mehr zu bewirken war.“ Diesen Satz habe ich vor 35 Jahren mit der Schreibmaschine abgeschrieben, heimlich, mit fünf Durchschlägen. Er stammt von Ulrike Meinhof, aus dem Text „Falsches Bewußtsein“ von 1968 über den Unterschied zwischen Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau, der mit dem Vorspruch von Ernst Bloch beginnt, dass mit der Klassengesellschaft der Unterschied der Geschlechter nicht verschwinde.

Das hatte mir mit knapp 20 in Ostberlin schon geschwant. Es war die Zeit, als ich, wenn ich zur Wahl ging, eigentlich keine Wahl hatte. Der Vorgang bestand aus der Entgegennahme eines Zettels im Wahllokal, auf dem die Kandidatinnen und Kandidaten der Nationalen Front (was für ein schrecklicher Name) aus Parteien und Massenorganisationen standen, die im Block gewählt wurden. Der Zettel wurde einmal zusammengefaltet und in eine Urne gesteckt. Wer nicht kam, weil er krank oder dagegen war, wurde nach der Schließung der Wahllokale mit der fliegenden Wahlurne zu Hause besucht, denn es bestand nicht nur das Recht, sondern faktisch auch eine Pflicht zu wählen.

Wer die einzige Kabine im Raum benutzte, zeigte automatisch seine oppositionelle Haltung an. Da es ja nichts anzukreuzen gab, gab es auch keinen Grund, die Kabine zu benutzen. Mit Nein zu stimmen, hieß alle Kandidatinnen und Kandidaten einzeln ausstreichen zu müssen, sonst war die Wahl ungültig.

In der Wahlkabine lagen harte, frisch gespitzte Bleistifte, sodass man beim Ausstreichen Gefahr lief, den Zettel zu beschädigen, was die Stimme ungültig machte. Ungültig sein sollte meine Stimme nicht. Also nahm ich einen weichen Filzstift und ein Lineal mit zur Wahl, um wenigstens ein klein wenig aufrecht mein Missbehagen zu zeigen.

Wo die Interessen der Frauen durchsetzen – und wie?

Ich hatte keine hohe Meinung von meinem Wahlrecht als Frau und hätte Louise Otto-Peters Ausspruch von 1843: „Die Teilnahme der Frau an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht“ rundheraus abgelehnt, zumindest, was die Pflicht anging. Ich hatte mich oft gefragt, ob sich Clara Zetkin eine Wahlordnung wie die in der DDR vorgestellt hatte, als sie jahrzehntelang für ein Wahlrecht für alle Frauen, auch der proletarischen kämpfte. Man darf ja nicht vergessen, dass die sogenannten gemäßigteren Frauenrechtlerinnen im Kampf ums Frauenwahlrecht des 19. Jahrhunderts nur das beschränkte Drei-Klassen-Wahlrecht für sich beanspruchten, das Vermögende wie sie selbst bevorzugte und dem „weiblichen Pöbel“ nicht die Möglichkeit gab, die Gesetze mitzubestimmen, denen sie unterworfen waren.

Eine interessante Volte der Geschichte der unabhängigen Frauenbewegung war, dass bei den ersten freien Wahlen der DDR am 18. März 1990 der aus der friedlichen Revolution hervorgegangene Unabhängige Frauenverband, der mit den Grünen zusammen eine Wahlplattform gebildet hatte, keinen einzigen Sitz in der Volkskammer bekam – die in der DDR zur Nationalen Front gehörende und der SED hörige Frauenorganisation DFD aber schon. Das war dann unser herber Eintritt in die Sphäre der Parteiendemokratie – wir hatten uns über den Tisch ziehen lassen. Das Verhandeln, Kungeln, Austarieren mussten wir noch lernen, aber nicht wenige der Frauenbewegten fragten sich auch, ob für sie das Parlament der richtige Ort für die Durchsetzung von Fraueninteressen war, ob es nicht andere Formen als die Parteiendemokratie gibt, Politik zu machen, Interessen zu formulieren und Verbesserungen durchzusetzen. In den ersten Jahren nach 1990 wehrten sich Ostfrauen nicht an der Wahlurne, sondern mit einem Gebärboykott gegen die Zumutungen und Anforderungen der neuen Gesellschaft. Eine Tatsache, die wirksam war, aber bis heute wenig beachtet ist.

Selbstverständlich sind Frauenrechte noch lange nicht

Neulich hat die Feministin Antje Schrupp ein paar sehr kluge Sätze zum Frauenwahlrecht gesagt: „Die Frage ist nicht so sehr, was das Frauenwahlrecht für die Frauen bedeutet, sondern was das Frauenwahlrecht für die Demokratie bedeutet. Wieso hatte ‚die Demokratie’ eigentlich so lange gar kein Problem damit, die Hälfte der Bevölkerung auszuschließen?“ Und wen schließen wir heute aus und was bedeutet das für die Demokratie? Zum Beispiel, wenn unsere langjährigen Nachbarinnen nicht an einem Volksentscheid über unser unmittelbares Umfeld abstimmen dürfen, weil sie nicht den richtigen Pass haben?

In den letzten dreißig Jahren haben wir einen Niedergang der Parteienpolitik erlebt, der Ausgang ist offen, die Wahlbeteiligung niedrig, bei der letzten Bundestagswahl sank der Anteil der Frauen im Bundestag von 36,5 % auf 30,9 Prozent. Sind wir der Parteipolitik müde? Gäbe es eine demokratische Alternative?

Seit 1918 ist sehr langsam und nur mit Beharrlichkeit eine weitestgehende rechtliche Gleichstellung erreicht worden, auf anderen Feldern sind wir nicht viel weiter als vor 100 Jahren. Der Blick in die Geschichte der Frauenbewegungen lehrt uns, dass alles, was die Emanzipation von Frauen angeht, auch vor 150 Jahren schon gedacht, gefordert und manchmal sogar erreicht wurde. Immer wieder gab und gibt es Rückschläge. Denn leider sind Frauenrechte immer noch nicht selbstverständlich, sie müssen von Generation zu Generation neu ausgehandelt werden. Das Wahlrecht ist nur eines von vielen.

Eine Antwort zu “5/8: Wahlrecht allein reicht nicht”

  1. Von Fred Beisel am 15. März 2018

    Zum Glück hat der Satz von Ulrike Meinhof historisch nicht Bestand, denn mit dem Wahlrecht haben Frauen und Männer Parteien gewählt, die sich für Frauenrechte eingesetzt und diese umgesetzt haben, aber der Satz ist trotzdem richtig, denn er zeigt, dass mit dem Wahlrecht für Frauen selbst noch nichts gewonnen. Wir begehen in diesem Jahr das 100. Jubiläum der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland und müssen dennoch für gleiche Bezahlung von Frauen und Männern kämpfen oder in der #metoo-Debatte gegen den Missbrauch und die Objektivierung der Frau streiten.

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