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Alles gleich, alles Industrie

Von Camilla Lindner / 28. September 2017
picture alliance / Westend61 | Philipp Dimitri

Der Industrial-Style hat endgültig Einzug gehalten in die Restaurants und Cafés deutscher Großstädte. Seine karge Monotonie sagt viel über die Entwicklung der Gesellschaft aus.

Für meine Oma sind Cafés Orte sozialen Austausches. Schon beim Eintreten palavert sie laut mit der Dame hinterm Tresen. Dann setzt sie sich – nicht ohne freundlich nach links und rechts zu nicken – an den Fensterplatz. „Wie immer?“, fragt die Bedienung. Meine Oma lächelt zustimmend. Das Café ist ihr zweites Wohnzimmer. Sie kennt die anderen. Die anderen sie.

Unter den Cafés und Restaurants, an denen ich in der Stadt vorbeilaufe, finde ich nur schwerlich ein Lokal, in das ich meine Oma mitnehmen würde. Seit 2010 mehren sich Burgerläden, Barista-Shops und Salatbars. Superfood, wohin das Auge reicht! Während die Salatläden in leichtem Grün und mit hellem Holz eingerichtet sind, hat das schwer wirkende Industriedesign in jenen Läden die Nase vorn, wo authentisches, Essen und Trinken der Marke hand-crafted „mit Philosophie“ konsumiert wird.

Diese Orte in Industriedesign-Optik ziehen augenscheinlich ein ziemlich homogenes Publikum an: Jung(geblieben) sind die Menschen dort, Künstler und Akademiker, überzeugte Bart- oder Duttträgerinnen. Sie trinken Hauslimonade aus altmodischen Marmeladengläsern mit rot-weißem Strohhalm und beißen in vegetarische Avocado-Halloumi-Burger. Jene Läden spielen mit einem Narrativ der Individualität und ähneln sich ironischerweise doch alle sehr.

Ohne Laptop zu Oma

Das macht etwas mit den Menschen. Das Konzept Heilende Architektur geht davon aus, dass Räume den Menschen physisch und psychisch beeinflussen. Beispiel „Oma-Café“: Die bequemen Stühle, weichen Sofas und der Mangel an verfügbaren Steckdosen laden zum entspannten, analogen Verweilen ein. Der Drang, in jenen Cafés den Laptop auszupacken, wird sich bei den meisten in Grenzen halten. Schließlich ist ein Ort, der an Omas Wohnzimmer erinnert, eine selten gewordene Rückzugsmöglichkeit in eine vergangene, aber nicht vergessene Welt.

Industriedesign hingegen strahlt keineswegs häusliche, bürgerliche Gemütlichkeit aus. Stattdessen: kaltes Metall, Holz in minimalistischer Einrichtung, kahle Glühbirnen an der Decke oder absichtlich offen gelegte Kupferleitungen, nackte Betonwände. Die ewig Arbeitenden packen hier gern Laptops und Tablets aus – sie gehören längst zur Einrichtung. Denn jene öffentlichen Orte sind keine sozialen Freizeitplätze mehr. Es kann legitim alleine verweilt werden. Aber man sollte wenigstens beschäftigt aussehen.

Nur, warum das alles? Deutschland hat die Zeit der Industrialisierung doch hinter sich. Die industrielle Serienfertigung geschieht zu großen Teilen in Ländern, in denen die Produktion günstiger ist. Sehnen sich die Menschen in Dienstleistungsgesellschaften nach mehr Nähe zum handfesten Produkt – und sei es durch die Teilhabe an einer ebensolchen nicht-dekorativen Narration? Hilft das Festhalten an teilweise meisterhaft verzierten Cappuccino in pseudoindustriellem Ambiente, wo früher in Akkordarbeit geschwitzt wurde, dem Arbeitseifer?

Design ist politisch

Friedrich von Borries, politisch angehauchter Designtheoretiker, argumentiert in seinem Buch „Weltentwerfen. Eine politische Designtheorie“, es gebe entwerfendes und unterwerfendes Design. Während das eine zur Gestaltung anregt, bevormundet und überwacht das andere. „Heute werden Menschen mithilfe von Design diszipliniert und kontrolliert, sodass von der Norm abweichendes Verhalten nicht – oder nur erschwert – möglich ist.“

Für den einen mag Industriedesign ermächtigend, inspirierend wirken. Denn in einer weniger strengen, aber auch nicht allzu bequemen Café-Atmosphäre lässt sich vielleicht besser arbeiten als in einer klassischen Bürosituation. Und Arbeit soll schließlich Spaß machen! Aber wie schnell ist bei der „digitale Bohème“ auf einmal die Pause oder der Feierabend mit „nur mal kurz noch Emails-Checken“ belegt? Da hört bei vielen der Spaß auf.

Für andere wirkt Industriedesign dagegen unmittelbar entmächtigend. Du! Musst! Arbeiten! – scheint es zu sagen. Am besten am Mac, dem digitalen Werzeugkasten des 21. Jahrhunderts, am besten immer online. Arbeit und Freizeit verschwimmen immer mehr. Wobei beide Bereiche an Profil verlieren.

Hart, nicht herzlich

Das Fazit? Die Wiederkehr des Industriedesigns sagt einiges über die Gesellschaft aus. Die bürgerliche Gemütlichkeit im öffentlichen, urbanen Raum hat sichtbar ausgedient, genauso wie weiche Stühle und liebliche, verspielte Stoffe. Zurück kehrt ein Design der Einfachheit, aber auch der Härte.

Das Industriedesign der letzten Jahre, eine Neuauflage des Klassikers aus den 1920ern und 1930ern, ist laut dem Soziologen Bruno Latour keinesfalls schöpferisch oder gar revolutionär, denn es wurde nur auf Grundlage eines vorhandenen Designs „redesignt“, so Latour. Dadurch verliere es seinen Anspruch auf gesellschaftliche Kritik und Wandel, den ihm ein Friedrich von Borries im besten Falle unterstellt.

Meiner Oma scheint sich dessen bewusst zu sein. „Gemütlich Kaffeetrinken“ geht in kantinenartiger, fabrikähnlicher Atmosphäre für sie nicht. Und für mich eigentlich auch nicht. Nicht zuletzt, weil jede echte Revolution sowieso auf die Straße gehört, oder?

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