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Arbeitskampf adé?

Von Alicia Homann / 24. Mai 2023
picture alliance / spr-photo/Shotshop | spr-photo

Ver.di und Co. haben seit Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Der Nachwuchs fehlt. Svea Günther setzt sich für mehr Dialog zwischen Gewerkschaft und Gesellschaft ein.

Zur Vereinten Dienstleitungsgewerkschaft (Ver.di) schlossen sich 2001 fünf Einzelgewerkschaften zusammen, mit 2,81 Millionen Mitglieder. Ende 2022 waren es noch 1,86 Millionen. Ein Minus von fast einer Million bzw. einem Drittel der Mitglieder. Ver.di bleibt dennoch die zweitgrößte deutsche Gewerkschaft, nach der IG Metall. Zuletzt stiegen nach Ver.di-Angaben die Mitgliederzahlen sogar. „Genau genommen sind es bis heute über 70.000 neue Mitglieder, die wir gewonnen haben seit Anfang diesen Jahres“, sagte Ver.di-Chef Frank Werneke im März in einem ZDF-Interview. Man gewinne in Tarifverhandlungen immer Mitglieder, „aber in der Größenordnung hat es das seit Menschengedenken nicht mehr gegeben“.

Doch unter den jungen Jahrgängen finden sich weiterhin eher wenige Gewerkschaftsmitglieder. Mit einer in der Pflege beschäftigten, aktiven Anhängerin lässt sich herausfinden, warum das immer noch so ist.

sagwas: Svea, was war dein Anstoß, um gewerkschaftlich aktiv zu werden?

Svea Günther: Ich war bereits politisch engagiert. Neben der Schule habe ich junge Geflüchtete bei den Hausaufgaben unterstützt. Dementsprechend war es für mich naheliegend, in einer Gewerkschaft aktiv zu werden. Speziell in der Pflege müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern. Mir war klar, dass ich mich dafür einsetzen würde.

Vor ein paar Jahren hieß es in den Medien: „(…) nur 12 Prozent der 18- bis 30-jährigen abhängig Beschäftigten [seien] gewerkschaftlich organisiert.“ Heute sieht es kaum anders aus. Was ist die Ursache dafür?

In den Berufsschulen werden Jugendliche nicht genügend über ihre Rechte aufgeklärt. Insofern ist einigen gar nicht bewusst, was eine Gewerkschaft bewirken kann. Denn in der Regel gibt es nur dann das Recht, vom verhandelten Tarifvertrag zu profitieren, wenn man auch Gewerkschaftsmitglied ist. Allerdings bezahlen Unternehmen oft alle Mitarbeiter*innen nach Tarifvertrag, um das gewerkschaftliche Engagement auszubremsen. Des Weiteren gibt es Beschäftigte, deren Arbeitsbedingung seit langem so prekär sind, dass sie keine Zuversicht mehr haben, dass sich wirklich etwas ändern kann. Das kommunizieren sie auch.

Svea Günther bei einer Demonstration (Foto: S. Günther)

Ist es besonders wichtig, dass insbesondere junge Menschen Gewerkschaftsmitglied werden?

Ja, auf jeden Fall. Die Mitgliederzahlen sinken gerade in diesem Bereich. Ein 55-jähriger Arbeitnehmer hat andere Bedürfnisse und andere Ansprüche an seinen Betrieb als eine Person, die Anfang 20 ist. Ich möchte jungen Menschen das Gefühl geben, dass nicht nur Ältere von der Gewerkschaft profitieren, sondern dass wir jungen Leute auch mitgestalten können. Davon lebt die Gewerkschaft.

Was sind die größten Konfliktpunkte zwischen Jung und Alt?

Die jüngere Generation setzt ihre Prioritäten anders. Lohnarbeit steht nicht mehr über allem und junge Menschen versuchen mehr, auf ihre mentale und körperliche Gesundheit zu achten. Durch den Klimawandel und die Inflation leiden sie unter Existenzängsten und fordern deshalb zusätzliche Dinge – flexible Arbeitszeiten, besseren Arbeitsschutz, Homeoffice – von ihren Arbeitgebern als die ältere Generation.

Haben die Gewerkschaften also ein Imageproblem?

Ja. Ich kann hier hauptsächlich aus der Sicht einer Pflegekraft sprechen. Häufig wird darauf hingewiesen, dass das Pflegepersonal nicht streiken sollte, weil die Patient*innen in den Krankenhäusern sterben würden. Eine Notbesetzung ist immer vorhanden, jeder wird versorgt, allerdings mit dem Minimum. Nur: Einen großen Unterschied zum alltäglichen Betrieb macht das nicht. Gerade deswegen streiken wir.

Wie ist die Situation zwischen den Gewerkschaften?

Es gibt Konkurrenzkämpfe unter den Gewerkschaften. Es bilden sich kleine Splittergewerkschaften, die teilweise keine rechtliche Legimitation haben. Einfach, um anderen die Mitglieder abzuwerben. Aktive Mitglieder in etablierten Gewerkschaften sind dann von diesem schlechten Image betroffen. Doch es gibt ein weites Spektrum an Möglichkeiten, um sich arbeitspolitisch zu engagieren. Für einzelne Personen sind andere Strukturen, etwa Initiativen, relevanter. Studierende engagieren sich beispielsweise größtenteils direkt an der Universität.

Was haben Studierende von einer Gewerkschaft?

Es gibt zum Beispiel die Hochschulgruppe TVStud [der DGB Jugend, Anmerk. d. Red.], die sich dafür einsetzt, dass studentische Beschäftige einen Tarifvertrag erhalten. Dadurch wird klar: Gewerkschaften sind auch für Menschen im Studium relevant.

Wie könnte man aktuell ganz konkret gegen das Imageproblem vorgehen?

Präsenz zeigen in den Schulen, Berufsschulen und Betrieben. Es muss verstärkt aufgeklärt werden, wie die Gewerkschaften einen persönlich unterstützen können, aber auch darüber, welche gesellschaftliche Bedeutung sie haben. Die Auszubildendenvertretungen müssen ernster genommen werden. Insgesamt muss mehr mit den Menschen gesprochen werden.

Die Strukturen in Gewerkschaften sind sehr bürokratisch – es gibt viele Gremien und Vorstände. Auch in der Gewerkschaftsjugend. Braucht es hier einen Strukturwandel für mehr Engagement?

Eigentlich ist das ehrenamtliche Engagement bei der Ver.di-Jugend ganz unbürokratisch. Die Gremien in den Fachbereichen und Landesbezirken werden zwar alle vier Jahre neu gewählt, aber es ist bei fast allen Sitzungen möglich, als Gast teilzunehmen. Alternativ gibt es offene Treffen, wie die Jugendfachkreise oder unsere Bar-Abende hier speziell in Hamburg, die Bildungsangebote und Seminare, an denen man teilnehmen kann, um die Organisation kennenzulernen.

Wie können Gewerkschaften in Zeiten von immer mehr Teilzeit-Beschäftigten, Fristverträgen und einer wachsenden Anzahl von Kleinbetrieben an ihrer Bedeutung festhalten?

Gerade dann sind sie wichtig, wenn Menschen zum Beispiel in befristeten Verhältnissen arbeiten und den Halt der Gewerkschaften brauchen. Sie können nicht nur Tarifverträge mit höheren Löhnen erreichen, sondern beispielsweise durch Entlastungstarifverträge für bessere Arbeitsbedingungen sorgen wie es zurzeit in Nordrhein-Westfalen gelingt.

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