Immer Drama vor der Kamera
Familien in Fernsehserien lieben sich, streiten sich und halten am Ende doch zusammen – fast wie im echten Leben. Die erfolgreichsten Serien der Welt kommen nicht ohne Familien aus. Zum Glück.
Katrin und Gerner sind entsetzt. Ihre Tochter Johanna will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Bei einer Aussprache hoffen die Eltern auf Versöhnung, doch daraus wird nichts. Stattdessen schreit Johanna sie an, wie es nur Kinder können.
So lautet – in aller Kürze – der Plot von Folge 6487 von Gute Zeiten, schlechte Zeiten, der erfolgreichsten Seifenoper im deutschen Fernsehen. Rund drei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer schalten regelmäßig ein, wenn sich die Familien Flemming, Moreno, Bachmann und Co. lieben und linken, zoffen und wieder zusammenraufen.
Seit nunmehr 25 Jahren geht das so. Die Schauspielerinnen und Schauspieler wechseln, doch das Konzept von „GZSZ“ bleibt gleich: Es geht um Beziehungen von Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern, Verlobten und Verliebten. Die sind fast immer kompliziert und meist dramatisch.
Nur Harmonie ist langweilig
Nicht nur im oft belächelten Gefilde der Daily Soap sind Familiengeschichten eine beliebte Zutat für das Erfolgsrezept „Serie“. Beim HBO-Hit Game of Thrones treiben Konflikte in den Häusern Stark und Lannister die Handlung voran. So wird der kleinwüchsige Tyrion Lannister von seinem Vater hintergangen und rächt sich deshalb an ihm. Auch bei dem Netflix-Renner Stranger Things wird die Basis aus Sci-Fi und Mystery mit familiären Tragödien gewürzt – solchen etwa, wie die der verzweifelten Mutter Joyce Byers, die ihren Sohn sucht.
Dass beliebte Serien auf Familiengeschichten setzen, findet Christian Schicha von der Universität Erlangen nachvollziehbar. „Da jede Zuschauerin und jeder Zuschauer selbst in einer Familie aufgewachsen ist, können die fiktiven Familiengeschichten im Fernsehen einen Anknüpfungspunkt zu eigenen Erfahrungen bieten“, erklärt der Medienethiker.
Nicht nur Serienfans können den Liebesentzug, den Tyrion Lannister durch seinen autoritären Vater erfährt, nachvollziehen oder wissen, wie es sich anfühlt, sich wie Joyce Byers um ein Kind zu sorgen. Identifikationsmöglichkeiten zu bieten sei aber nicht die Hauptaufgabe von Serienfamilien, betont Schicha. „Primär dienen sie der Unterhaltung. Konflikte gehören immer dazu, um einen Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Die reine Harmonie ist eher langweilig.“
Biedere Nachkriegszeit
Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer mit fiktiven Familien zu unterhalten ist keine neue Idee. Die ARD hat schon 1954 – damals noch als Deutsches Fernsehen – die erste deutsche Familienserie gezeigt. Unsere Nachbarn heute abend – Familie Schölermann erreichte Einschaltquoten von bis zu 90 Prozent (zugegeben: das Zweite Deutsche Fernsehen – ZDF – als Alternative folgte erst 1963, die regionalen dritten Programme noch ein paar Jahre später).
Im Mittelpunkt also: Familie Schölermann. Deren Oberhaupt, Matthias, arbeitet sich vom einfachen Angestellten zum erfolgreichen Spülmaschinenverkäufer hoch. Mutter Trude kümmert sich, wenig überraschend, um den Haushalt. Die Kinder Heinz, Evchen und Jockeli gehen in 111 Folgen zur Schule, arbeiten und erleben Liebesabenteuer.
Meist läuft das alles ohne viel Herzschmerz ab. Bei den Schölermanns fallen Sätze wie: „Das Menschenherz, die Erde schwankt, die Seele, die Gesellschaft krankt. Nur eins steht fest in Sturm und Graus: die Familie, das Zuhaus!“
So bieder das für moderne Ohren klingen mag, so wichtig war die Vorstellung einer heilen Familienwelt für die Gesellschaft der Nachkriegszeit, schreiben Irmela Hannover und Arne Birkenstock in der Studie „Familienbilder im Fernsehen“.
In einer durch den Krieg erschütterten Welt versprach das „alte patriarchalische Familiensystem“ immerhin Ordnung und Stabilität. Die Schölermanns lebten dieses Leitbild vor – manchmal auch, indem die bestraft wurden, die ihm nicht entsprachen. In einer Folge machen die Figuren klar, was sie von einer unverheirateten Frau halten, die raucht und sich aufdrängt: nichts.
Moderne Serienfamilien sind divers
Im Laufe der Jahre hat sich die Gesellschaft gewandelt und mit ihr die Familienserien. „Alleinerziehende Mütter, Trennungen, Scheidungen und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sind zu einem festen Bestandteil der Erzählungen geworden“, sagt Medienforscher Schicha.
Die Lindenstraße zeigte 1987 als erste deutsche Serie einen Kuss zwischen zwei Männern. Damals eine skandalträchtige Szene! Heute hat Homosexualität einen festen Platz im Familienserien-Kosmos – genau wie Interkulturalität. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Serie Türkisch für Anfänger von Bora Dağtekin, die sich um das turbulente Zusammenleben einer deutsch-türkischen Patchworkfamilie dreht. Klischees über Deutsche und Türken werden in der Serie nicht ausgehebelt, sondern extra auf die Schippe genommen.
Auch die amerikanische „Mockumentary“ Modern Family macht sich bewusst über Vorurteile rund um ethnische Herkunft, Alter und sexuelle Orientierung lustig. So widmet sich die Serie etwa dem schwulen Paar Mitchell und Cameron, das ein vietnamesisches Baby adoptiert. Eine schlechte Idee, findet zumindest am Anfang Mitchells Vater Jay.
Keinen Grund zur Aufregung sieht dagegen Christian Schicha. „Alternative Lebensformen sowie die Pluralisierung der Lebensformen und -stile finden in der Lebenspraxis statt“, sagt er. „Sie sollten daher auch Bestandteil von Erzählungen über Familien sein.“