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Mehr als Kunst

Von Marlene Thiele / 20. Mai 2019
Foto: (c) Buchheim Museum

Es rührt sich etwas im Museum der Phantasie am Starnberger See: Zwischen 2013 und 2017 sind die Besucherzahlen von jährlich rund 55.000 auf 125.000 gestiegen. Das liegt vor allem an Daniel J. Schreiber, der das Konzept des Museumsgründers Lothar-Günther Buchheim neu interpretiert.

Ob Daniel J. Schreiber selbst einmal mit Buchheim geredet habe? Der Museumsdirektor zögert: „Das ist eine schwierige Frage. Ich habe mich viel mit ihm unterhalten – zumindest im imaginären Raum. Ich halte auch jetzt noch oft Rücksprache mit ihm. Was zurückkommt, ist schweigende Anerkennung und die Einsicht, dass er das Museum in andere Hände geben muss. Manchmal erwarte ich, dass er doch noch hier hereinpoltert und alles wieder an sich reißt – bisher hat er das aber nicht gemacht. Darum denke ich, er mag das alles.“

Daniel J. Schreiber leitet das Buchheim Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See, das 2001 von Lothar-Günther Buchheim eröffnet wurde. Dieser war Künstler, Fotograf, Autor und Kunstsammler und als „Poltergeist“ wegen seines Eigensinns und seiner Wutausbrüche gefürchtet. Das Museum hatte er – nach jahrelangen Verhandlungen – gegründet, um ausschließlich seinen eigenen Kunstbesitz zu zeigen. Zunächst ging das Konzept auf: In den ersten beiden Jahren nach der Museumsgründung 2001 zog die umfassende Sammlung expressionistischer Kunst jeweils 200.000 Besucher ins Museum, mit der Zeit hatten sich die Leute aber daran sattgesehen und blieben fern. Schreibers Vorgängerin Clelia Segieth stand der Entwicklung hilflos gegenüber. Verzweifelt versuchte die Kuratorin über all die Jahre immer neue Ausstellungen aus dem Kunstfundus zu entwickeln, denn fremde Bilder durfte sie ausdrücklich nicht zeigen.

Mehr als eine Sammelstätte (c) Buchheim Museum/ EGENCY

Buchheim selbst starb freilich schon 2007. Er erlebte die Krise nicht mehr, auch nicht, dass Clelia Segieth irgendwann frustriert ihren Job hinschmiss – und, dass es seit 2013 einen neuen Direktor gibt, der einsieht, dass sich etwas ändern muss, um zu bestehen und besser zu werden.

Kunstmuseen sind heute mehr als nur Sammelstätte alter Bilder

Seitdem mit Buchheims Ausstellungstradition gebrochen wurde, steigt die Nachfrage wieder. Zwischen 2013 und 2017 haben sich die Besucherzahlen von jährlich rund 55.000 auf 125.000 erhöht. Sie treffen nicht ausschließlich auf Kunst: Thematisch passend zu den aktuellen Ausstellungen finden im Haus Workshops, Konzerte oder Malkurse statt. Eine weitere Neuerung, seit Schreiber Direktor ist.

Eine solche Entwicklung kann man nicht nur in Bernried beobachten. Kunstmuseen sind heute nicht mehr nur Sammelstätte alter Bilder, sondern Orte der Weiterbildung und Begegnung. Die Häuser erfinden sich neu: Das Wiener Museum Albertina etwa hat eine App, mit der die Bilder auf dem Handybildschirm gleichsam zum Leben erweckt werden können. Das Frankfurter Städel Museum bietet nicht nur einen digitalen Kurs der Kunstgeschichte an, sondern auch ein Videospiel für Grundschüler, mit dem sie sich im Rahmen einer Abenteuergeschichte durch die Gemäldesammlung klicken können. Und die Münchner Kunsthalle kooperiert einmal je Ausstellung mit einem Münchner Club, der DJs auf die Ausstellungsfläche schickt.

In dem Maße, in dem die Museen sich von ihrer traditionellen Aufgabe lösen, werden sie immer beliebter. Viele Häuser verzeichnen Besucherrekorde. Das Pariser Louvre, das erfolgreichste Museum der Welt, bietet einen virtuellen Museumsrundgang, gleich mehrere Applikationen und 74 Online-Videos an. Eines davon ist das Musikvideo, das Beyoncé und Jay-Z im Haus gedreht haben. 2018 kamen über 10 Millionen Menschen – 25 Prozent mehr als im Vorjahr.

„Buchheim stellt die Unterscheidung von Kunst und Krempel infrage“

„Auch Buchheim wäre von seinen Grundsätzen abgewichen, wenn er gesehen hätte, dass sein Museum verkrustet. Er wollte immer ein lebendiges Museum “, ist sich Daniel J. Schreiber sicher. Der 53-Jährige hatte nicht mehr die Gelegenheit, persönlich mit dem Museumsgründerzu reden, kennt dessen Ideen aber aus zahlreichen Texten. Außerdem habe ihm Buchheims Witwe Ditti vor ihrem Tod „noch eine Orientierung mitgegeben.“ Daher auch der Erfolg, meint der neue Direktor. Er ist überzeugt, „Buchheims Mission“ konsequent weiterzuführen: „Natürlich muss man seine Wünsche auch auf Widersprüche prüfen.“


Der Gründer höchstselbst (c) Diethild Buchheim, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See

Neben expressionistischen Meisterwerken umfasst Buchheims Sammlung auch mitunter bizarres Kunsthandwerk aus aller Welt. Gern belächeln Kritiker all die afrikanischen Masken, gläsernen Briefbeschwerer oder Karussellpferde und doch stehen immer wieder Familien vor „Riesen Zirkus Buffi“: Das Kind drückt einen Knopf und Holzkamele, Bären und Kunstreiterinnen beginnen zu tanzen. Buchheim selbst scherte sich nicht um klassische Konzepte. „Er stellte die Unterscheidung von Kunst und Krempel infrage und schaffte gedankliche Freiräume.“ Schreiber findet den Ansatz wunderbar. Und so hat der Kunsthistoriker das „Labor der Phantasie“ eingerichtet, in dem Kinder und Erwachsene ihre eigene Kunst schaffen können – oder auf Kletterbäumen herumtoben, die zu diesem Zweck aus dem Wald geholt wurden.

Erfreut registriert Schreiber nun, wie sich das Haus wieder mit Leben füllt – und mit Licht. Buchheim selbst mochte ihn nicht, diesen antimonumentalen Bau in Form eines riesigen Schiffes, gestrandet am Starnberger See, befand aber „es hätte schlimmer werden können.“ Aus dem Mund des missmutigen Kunstsammlers fast ein Lob. Daniel J. Schreiber ließ Licht und Luft in das Gebäude, öffnete die Fenster, entriegelte die Türen zu Balkonen und Terrassen und stellte gelbe Liegestühle auf – „auf denen können sich die Leute fühlen, als besäßen sie eine Villa am See.“ Es gibt auch einen langen Steg, von dessen äußerer Spitze man bei gutem Wetter die Alpen sieht. „Manchmal stehen da Leute und warten auf ein Schiff, das natürlich nie wirklich anlegt. Das ist doch ein toller Gedanke, dort zwölf Meter über dem Wasser zu stehen, voller Erwartung auf einen riesigen Ozeandampfer.“

So wird das Museum wieder zu jenem Ort der Fantasie, von dem sein Gründer immer geträumt hat.

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