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ContraEin schlechtes Gewissen macht kein gutes Körpergefühl

Von Patricia Kutsch / 31. Januar 2020
picture alliance / imageBROKER | Oleksandr Latkun

Die Überflutung mit Gesundheits-Apps macht den Fitness-Markt zum Fitness-Wahn – und sorgt bei denjenigen, die weniger sportlich sind, für Frust, ein schlechtes Gewissen, unnötigen Druck und große Unzufriedenheit.

Fitness, Ernährung und Gesundheit sind immens wichtige Themen. Sich im eigenen Körper wohlzufühlen, ist aber nicht weniger wichtig. Das wird zunehmend schwerer, denn täglich und überall begegnen uns Influencer, Models, Promis, die uns belehren wollen, wie wir glücklich, gesund und gut auszusehen und zu leben haben…

Sonntagmorgen, endlich ausschlafen, Frühstück im Bett – mit Schokocreme, Marmelade und anderen süßen Köstlichkeiten. Dabei ein kurzer Blick ins Smartphone, schauen was die Freunde heute schon gepostet haben. Doch was findet sich immer häufiger zwischen Katzenvideos, Konzerthinweisen und bezahlten Werbeanzeigen? „Sascha ist heute 11,7 Kilometer gelaufen“ und „Anna ist heute 46 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren“ – aufgezeichnet dank Tracking und Gesundheits-App samt Route, Zeit und verbrauchten Kalorien. Dazu Fotos von glücklich lächelnden Sportlern in sämtlichen sozialen Netzwerken. Womöglich motiviert das viele Menschen oder spornt diejenigen, die sich sowieso gerne bewegen, noch mal mehr an – für Wettbewerb und damit für mehr Fitness und Gesundheit.

Aber es gibt auch Menschen, die nicht so sportlich sind, die viel und vielleicht auch körperlich arbeiten, die in ihrer Freizeit lieber malen, musizieren, lesen oder sich ehrenamtlich engagieren. Menschen, die nicht laufen oder radfahren dürfen oder können oder es schlicht nicht mögen. Die nicht dem körperlichen “Idealbild“ entsprechen, das uns Werbung, Filmemacher und Modemacher vorgaukeln. Menschen, die ein paar Punkte über dem “richtigen“ Body-Mass-Index liegen und sich dennoch so mögen, wie sie sind. Und wie viele von ihnen mögen nun auf ihr Croissant mit Schokocreme blicken, immer noch gemütlich im Bett liegend, aber plötzlich mit einem schlechten Gewissen?

Von Schönheitsdiktat zu Bodyshaming – was ist daran gesund?

Gesundheits-Apps lassen den Umstand, dass die Umwelt uns andauernd ein Schönheitsideal aufdrängt, langsam zum gesellschaftlichen Problem werden. Das sogenannte Bodyshaming gehört mittlerweile zum Alltag vieler Leute und belastet deren Selbstwertgefühl. Und Apps können das Gefühl des Versagens noch verstärken – etwa wenn sie uns melden, dass wir heute schon wieder keine 10.000 Schritte gegangen sind, uns insgesamt wieder zu wenig bewegt haben oder 500 Kalorien zu viel gegessen haben. Technologien, von Menschen für Menschen gemacht, setzen uns Menschen damit unter zusätzlichen Leistungsdruck und in Wettbewerb zueinander. Sie machen, dass wir uns in unseren Körpern unwohl fühlen. Das gilt sowohl für diejenigen, die Gesundheits-Apps verwenden, aber dabei nicht so konsequent oder erfolgreich sind, als auch für die anderen, die solche Apps gar nicht erst nutzen, aber der ständigen Reizüberflutung durch öffentlich geteilte Erfolge anderer ausgesetzt sind.

Dass die ständige Konfrontation mit den Themen Schlankheit und Fitness negative psychische Auswirkungen haben kann, darauf verweist eine Studie aus Granada, der zufolge Frauen, die mit sich selbst unzufrieden sind, den Anblick schlanker Frauen als besonders unangenehm empfinden. Die Folge seien Minderwertigkeitskomplexe und das Gefühl des Kontrollverlusts, so die spanischen Forscher.

Aber auch in Deutschland halten sich nach aktuellen Umfragen mehr als die Hälfte der Menschen im Alter zwischen 14 und 34 Jahren für zu dick – Tendenz seit Jahren steigend. Und auch hier hadern insbesondere Frauen mit ihrem Körperbild. „Junge Frauen eifern nach wie vor sehr häufig einem zu schlanken Schönheitsideal nach“, sagt Dr. Tanja Katrin Hantke, Gesundheitsexpertin der Schwenninger Krankenkasse.

Neben der negativen Selbstwahrnehmung haben bereits knapp 20 Prozent pubertierender Mädchen bereits einmal eine Diät gemacht, wie schottische Forscher im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation herausfanden. Eine weitere Ursache für ein belastendes Körperempfinden sehen Wissenschaftlerinnen in den vielen Fotos in den sozialen Netzwerken. So zeigt eine Studie aus Kanada, dass Frauen dreimal so oft mit sich selbst unzufrieden sind, wenn sie mehr als 20 Stunden pro Woche im Internet surfen. Dort werden “perfekte Körper“ in Szene gesetzt – nicht nur von Models, sondern zunehmend auch von Influencern und eben den Nutzern von Gesundheits- und Fitness-Apps.

Apps können in diesem Sinne zu gegenläufigen Effekten beitragen. Während sie die einen motivieren, setzen sie die anderen unter erhöhten Druck. Sei gesund! Bleib schlank! Werd fit! Experten befürchten, dass die mobile Software dazu führen könnte, dass vor allem Nutzerinnen das Gefühl für die eigentlichen Bedarfe des eigenen Körpers verlieren, und zwar gerade aufgrund des ständigen Überwachens und Messens. „Übermonitoring wird unsere Lebensqualität nicht verbessern“, konstatiert Prof. Stefan Jockenhövel, Forschungsleiter am Institut für Angewandte Medizintechnik an der Rheinisch-West­fälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen.

Für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden sollten wir also wieder mehr auf das hören, was uns unser Körper sagt. Nicht irgendwelche Apps.



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