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ContraAlles andere als Chancengleichheit

Von Hans Komorowski / 28. Dezember 2013
picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Die Ganztagsschule verspricht Chancengleichheit für alle Kinder. Doch eine schlecht ausgestattete Ganztagsschule verschlechtert die Bildungschancen aller Schüler. Im Arbeitsrhythmus der Erwachsenen Schon kleinen Kindern blüht mit der Ganztagsschule der Alltag von Erwachsenen. Von kurz vor acht Uhr morgens bis 16 Uhr mindestens, das ist ein Acht-Stunden-Tag in einer einzigen Institution. Was werden das einmal für […]

Die Ganztagsschule verspricht Chancengleichheit für alle Kinder. Doch eine schlecht ausgestattete Ganztagsschule verschlechtert die Bildungschancen aller Schüler.

Im Arbeitsrhythmus der Erwachsenen

Schon kleinen Kindern blüht mit der Ganztagsschule der Alltag von Erwachsenen. Von kurz vor acht Uhr morgens bis 16 Uhr mindestens, das ist ein Acht-Stunden-Tag in einer einzigen Institution.

Was werden das einmal für Erwachsene, die als Kinder nicht mehr spontan Kumpels auf Spielplätzen treffen konnten, denen nie langweilig war, weil sie immer angeleitet wurden, und die keine Hobbys hatten, weil es zeitlich nicht passte? Es könnte sein, dass ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung dabei auf der Strecke bleibt, wie Tagträumen, Kreativität und die Begegnung mit sich selbst.

„Viele Kinder brauchen Rückzugsmöglichkeiten, gerade im ADHS-Zeitalter, die sie in einer geschlossenen Einrichtung einfach niemals haben können“, sagt eine Potsdamer Grundschullehrerin. „Wenn es Ruheräume in den Schulen überhaupt gibt, werden sie erfahrungsgemäß nicht von den Schülern genutzt, die es bräuchten.“

Freie Zeit, Nichts-Müssen, Privatheit ist für Kinder notwendig, und das nicht nur am Abend, wenn sie müde sind. Eigene Ideen zu entwickeln ist schwer, wenn der Tag komplett durchstrukturiert ist, das wissen berufstätige Erwachsene am besten. Kinder brauchen Freiräume, um Kreativität zu entwickeln.

Mehr vom Lehrer?

Das Schüler-Lehrer-Verhältnis profitiere, lautet ein gängiges Argument der Befürworter. Die Atmosphäre am Schul-Nachmittag sei entspannter, heißt es oftmals. Das wäre wünschenswert, ist aber nicht einleuchtend.

Schüler brauchen entspannte und motivierte Lehrer – doch sind diese häufig jetzt schon an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Burn-out-Erkrankungen steigen in dieser Berufsgruppe stark an. Schon jetzt findet fast jede zehnte Schulstunde findet laut einer Untersuchung des Philologenverbandes nicht regulär statt.

Es könnte also sein, dass Schüler in einer Ganztagsschule viele Stunden des Tages mit überforderten Lehrern verbringen.

Sollten wir nicht besser zunächst fragen, wie Lehrer gesund und motiviert bleiben könnten? Dazu gehören beispielsweise, dass Klassen verkleinert werden, gezielte Weiterbildungen und Unterstützung bei Problem-Schülern.

Chancengleichheit für Jungen und Mädchen

Ganztagsschulen verringern den erzieherischen Einfluss der Eltern auf ihre Kinder. Das mag für einige Familien gut sein. Ein Aspekt davon ist jedoch, dass die Kinder den größten Teil des Tages eine Überdosis an Weiblichkeit abbekommen, denn nur noch rund 12 Prozent aller Lehrer in den Grundschulen sind männlich.

Der Aktionsrat Bildung kommt zu dem Ergebnis, dass Jungen in unserem Bildungssystem massiv benachteiligt sind. Sie werden nicht selten diskriminiert, weil sie für Lehrerinnen unbequemer sind. Abhilfe könnte eine Männerquote an allen Schulen schaffen.

Ein warmes Mittagessen

Es heißt immer, dass die Kinder in der Ganztagsschule vom Mittagessen profitieren. Doch sie profitieren unterschiedlich: In Thüringen darf ein Schulessen nicht mehr als 1,90 Euro kosten. Laut Experten bedeutet das, dass die Lebensmittel im Einkauf nur 60 Cent kosten können. Was kann es dafür auf den Teller geben? Bestimmt keine ausgewogene Ernährung.

In Bayern darf ein Schulessen 4,20 Euro kosten. In Berlin sind es 2,10 Euro. „Ich erkenne manchmal gar nicht, was das auf meinem Teller eigentlich sein soll“, sagt ein 13-jähriger Schüler über das Schulkantinen-Essen in einem Potsdamer Gymnasium.

Die wenigen Vorzeigeprojekte werden gerne als Pro-Argument genutzt. Aber dem Großteil unserer Kinder werden in den Schulkantinen Fertigessen und Fast Food vorgesetzt.

„Über 90 Prozent der Schulen in Deutschland erfüllen die Qualitätsstandards an gesundes Essen nicht“, meint Prof. Dr. Volker Peinelt, Ernährungswissenschaftler und Leiter der AG Schulverpflegung. Die Versuche, in Deutschland die Situation zu verbessern, seien bisher fehlgeschlagen.

Es gibt viel zu tun

Es ist unabdingbar, dass wir Ganztagsschulen, Hortbetreuung und die freie Wahl für unsere Kinder haben. Aber wir brauchen keine schlechten Schulen, die zu schlechten Ganztagsschulen werden.

Wir brauchen bessere Schulen, und das kostet Geld. Bildung für unsere Kinder ist das Wichtigste, das wir ihnen mitgeben können. Sie galt in Deutschland einmal als Wettbewerbsvorteil. Wann gehen wir endlich verantwortungsvoll damit um?

Tagtäglich werden viele Chancen vertan, Kindern etwas beizubringen. Solange das so ist, sollten wir nicht über ein „zeitliches Gerüst“ diskutieren, in dem die Kinder betreut werden. Wir dürfen nicht allen Kindern etwas aufzwängen, was nur für einen kleinen Prozentsatz der Kinder von Vorteil ist.

Der Schulalltag in einer Ganztagsschule könnte wertvoll sein, wenn die Qualität des Unterrichts, die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer, die Klassenstärke, die Dezibel-Zahl im Klassenraum und nicht zuletzt das Essen in der Schulkantine stimmen würden. Die Qualität stimmt aber nicht, und damit würde die verpflichtende Ganztagsschule zu einem engen und schlecht sitzenden Korsett. Die Bildungsverantwortung kann und darf man einfach nicht abgeben, indem man ein starres Gerüst aufbaut, ohne an den Inhalten zu arbeiten.

Die Politik, die Schulen, die Lehrer, aber auch die Eltern sind gefragt. Tagtäglich. Das ist mühsam und anstrengend – es führt aber kein Weg daran vorbei.



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