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DebatteTabubruch für mehr Reichweite?

Von Charlie Mayer / 29. Februar 2024
picture alliance / Zoonar | Andrii Yalanskyi

Man spricht nicht über sein Gehalt, fragt Frauen nicht nach ihrem Alter und tauscht sich nicht über Themen wie Menstruation oder Abtreibung aus. „Das ist tabu“, heißt es. Was bedeutet dieses Wort und wann werden Themen zu Tabuthemen?

Tabus sind einfach immer schon da gewesen. Sie begleiteten unser Leben und wir verstehen: Hier geht es um eine Art gesellschaftliches Ge- beziehungsweise Verbot. Manche Tabus sind plausibel, andere wirken veraltet, einige verstehen wir überhaupt nicht. Aber sind Tabus wirklich einfach nur Verbote?

Etymologisch betrachtet stammt das „Tabu“ aus dem Polynesischen, der Sprache einer Inselregion in Ozeanien, zu der unter anderem Tonga, Tahiti, Hawaii, Neuseeland und die Osterinsel gehören. Dort wird der Begriff „tapu“ verwendet.

Tabu ist hier ein Konzept diverser Kulturen und beschreibt, dass etwas heilig oder geweiht ist, dass es unantastbar, unverletzlich ist und nicht aufgesucht werden darf. Oftmals diente die Verhaltensvorschrift zum Erhalt von Natur, beispielsweise um Ressourcen zu schonen. Maori nutzten das Konzept, um Fischweiher oder Wasser zu schützen. Gleichzeitig war der Begriff in dieser Hinsicht nicht nur positiv konnotiert für die Kennzeichnung von Heiligtümern, sondern wurde auch für gefährliche Orte und Gegenstände verwendet: Etwas war tabu, weil es gefährliche Kräfte besaß und nicht berührt werden sollte. Beide Komponenten vereinten sich in Totemtieren, also Geistwesen in Tiergestalt, die als Seelengefährten angesehen und nicht gegessen werden durften. Auch sie wurden als „tapu“ bezeichnet.

Ein Wort wandert nach Europa

Wie gelangt ein Begriff aus Ozeanien in den europäischen, alltäglichen Sprachgebrauch? Er reist natürlich mit dem Schiff! James Cook, der berühmte britische Seefahrer, Entdecker und Kartograf des 18. Jahrhunderts, der die Ostküste Australiens sowie Inseln wie Hawaii und Neuseeland entdeckte, ist der Grund dafür, dass dieses Wort in Eingang in unseren heutigen Wortschatz fand. Nach seinem Besuch im Königreich Tonga 1777 verwendete er als erster Europäer das Wort „taboo“, bevor es Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland als „Tabu“ bekannt wurde.

Ein Tabu ist kein Verbot im eigentlichen Wortsinne. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben oder schriftlich fixierte Regeln. Ein Tabu ist vielmehr eine gesellschaftliche Übereinkunft, die zu einem subjektiven Gefühl wird, dass etwas nicht angebracht oder erlaubt wäre. Tabus sind kulturelle Normen, die bestimmte Themen oder Verhaltensweisen als unangemessen oder inakzeptabel einordnen. Wer bewusst oder unbewusst gegen Tabus verstößt, kann aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Teil des öffentlichen Diskurses ist man an dieser Stelle nicht mehr.

Ein Tabuthema ist ein sensibles Thema, das in der Öffentlichkeit wenig oder durch Abwesenheit verhandelt wird. Es berührt Empfindlichkeiten und kann verschiedene Bereiche wie Sexualität, Krankheit, Alter oder persönliche Finanzen betreffen. Ein Tabu entspricht längst auch in der westlichen Welt einer gesellschaftlichen Regel, die vorgibt, was man nicht tun oder sagen sollte. Vorschriften dieser Art sind wichtig für den Schutz bestimmter Werte. Im Laufe der Zeit können sie sich jedoch ändern. Denn Tabus spiegeln die moralischen Überzeugungen einer Gesellschaft nur wider. Je nach Kultur können sie unterschiedlich ausfallen.

Über welche Themen sprechen wir (nicht)?

In jüngerer Zeit hat sich eine Auffassung entwickelt, die darauf hinweist, dass etwas als veraltet oder nicht mehr zeitgemäß angesehen wird. Inzwischen wirken „enttabuisieren“ und der viel besprochene und gern skandalisierte „Tabubruch“ immer häufiger der negativen, vorwurfsvollen Konnotation des Begriffs entgegen.

Geheimes oder Heimlichkeiten hinter den Tabus machen neugierig und erzeugen entsprechende Aufmerksamkeit oder Reichweite. Die Verwendung des vielseitigen Wortes findet darum vor allem medial statt. Nutzt er sich deshalb ab? Stumpfen Empfänger dieser Botschaften ab?

Eine Studie des Kölner Aktienunternehmens Statista aus dem Jahr 2008 stellte die Frage, über welche privaten Themen sich die Befragten kaum mit anderen austauschten. Das erwartbare Ergebnis: Auf das Thema Sexualität folgten finanzielle Angelegenheiten. Unter den ersten zehn Plätzen rangierte die Thematik Gesundheit beziehungsweise deren Mangel. Am ehesten sprachen die Befragten über politische und religiöse Einstellungen. Daran hat sich bis heute wenig geändert, wie kleinere Umfragen zeigen. Eine ähnlich große Vergleichsstudie wie vor 15 Jahren gibt es für Deutschland noch nicht wieder.



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