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ContraAlltag vor Corona? Nein, Danke!

Von Alexander Kloß / 30. September 2020
picture alliance / photothek | Ute Grabowsky

Viele fordern eine Rückkehr zum Alltag vor Corona. Doch wer daran festhalten will, ist sich den Auswirkungen der Krise nicht wirklich bewusst.

Das Coronavirus hat unsere Gesellschaft erschüttert. So sehr sogar, dass wir diese ganzen Phrasen eigentlich gar nicht mehr hören können, so oft wurden sie schon in unsere Köpfe getrichtert und so raumfüllend wurde das Thema COVID-19 in den letzten sechs Monaten. Dabei sind die geäußerten Hoffnungen und Wünsche oftmals so simpel: Zurück zum Alltag vor Corona, zu einigermaßen stabilen Lebensverhältnissen ohne Maskenpflicht, Reisebeschränkungen und Lockdown. Doch wer denkt, dass unser Alltag vor Corona wirklich erstrebenswert war, hat den Schuss noch nicht gehört.

Dass das Maskentragen uns sicherlich lange Zeit begleiten wird, ist nur schwer bestreitbar. Ein Mund-Nasen-Schutz ist für die allermeisten mittlerweile schon so selbstverständlich geworden, dass sich vielleicht ja auch ein gelegentliches Tragen außerhalb von Krisenzeiten als hygienisch sinnvoll erweist. In vielen anderen Ländern wie Japan oder Südkorea war dies ja schon lange vor der Pandemie der Fall.

Doch viel gravierender als das Tragen einer Maske wiegt die existenzielle Not, in die Millionen von Menschen innerhalb kürzester Zeit stürzten. Ganze Branchen fielen dem Virus gnadenlos zum Opfer – allen voran die Tourismus- und Veranstaltungsindustrie. Airlines und Reisefirmen kollabierten, Tickets zu Kultur- und Sportveranstaltungen wurden en masse zurückgegeben, Events abgesagt und unzählige Beschäftigte verloren von heute auf morgen ihre finanzielle Grundlage. Wer einmal einen solchen Schock erlebt hat, der vergisst ihn nicht so schnell, zumal dieser auch noch lange nach der Pandemie wirken wird. Denn die nächste Krise kommt bestimmt und ohne Strukturwechsel ist man vor ihr genauso wenig gefeit wie vor der ersten.

System- statt Jobwechsel

Natürlich steht es jedem frei, sein Betätigungsfeld zu wechseln, aber ganz so einfach ist es dann meist doch nicht. Denn wenn man seine Existenz sichern möchte, sollte man natürlich in eine coronaresistente Branche wechseln, wie zum Beispiel die Medizin, die Technikbranche oder die Lebensmittelindustrie. Doch Arzt, Programmierer oder Lebensmittelchemiker wird man nicht mal eben so und ein Massenexodus aus einem Berufsfeld in ein anderes wird sich letztendlich auch volkswirtschaftlich niederschlagen.

Wir sollten zwar einigermaßen flexibel sein, aber im Wesentlichen die Gesellschaft in unseren Ansprüchen und Bedürfnissen, unserem Ebenbild praktisch, formen. Zum einen bedeutet das starke soziale Sicherheitsnetze während Corona, zum anderen aber auch eine ebenso grundlegende Umstrukturierung danach, um eine erneute Massenarbeitslosigkeit und -verarmung zu verhindern.

Dieser Wahnsinn hat Methode

Sicherlich war der Alltag vor Corona erstrebenswerter als der Alltag während der Pandemie, aber deshalb ist ersterer noch lange kein erstrebenswerter Zustand an sich. Denn ohne Umdenken wird es uns genauso in die nächste Rezession stürzen, wie es zuletzt 2007/08 geschah, von dem momentanen historischen Rückgang im Bruttoinlandsprodukt ganz zu schweigen. Krisenanfälligkeit ist die Verteilungsfrage: Die Mittelschicht und alles darunter erwirtschaftet den Großteil unserer Wirtschaftsleistung, aber trägt gleichzeitig das größte Risiko. Die Führungsebenen sind es jedoch, die relativ konjunkturunabhängig den Großteil der Gewinne einfahren. Warum also ändern, was für einen selbst gut funktioniert?

Die Millennials sind somit die erste Generation seit dem Zweiten Weltkrieg, die weniger Wohlstand genießt als ihre Vorgänger. Schon Adam Smith, der Vater der Marktwirtschaft, wusste, dass Wachstum, ebenso wie unsere Ressourcen, nicht unbegrenzt sein kann. Nun droht die altbekannte Fabel des immer größer werdenden Wohlstands zu kippen und bringt somit unser ganzes System ins Schwanken. Ein jeder hat nun zwei Möglichkeiten: sich wegducken oder sich mit den Leidtragenden zu solidarisieren, um ein besseres Morgen für fast alle zu schaffen. Eine Übung in Empathie und Nächstenliebe.

Lösungen statt Losungen

Der wichtigste Schritt in alledem ist, erst einmal den Konsens zu finden, dass ein “Weiter so” nicht zielführend ist. Nicht einmal unbedingt aus Nächstenliebe, sondern sogar aus purem Selbstzweck. Denn wer momentan noch die Geschehnisse bequem aus der Ferne beobachtet, könnte beim nächsten Mal auch schnell die Kehrseite erblicken. Was gilt es also zu tun?

Das komplette Lösungspaket wird wohl niemand parat haben, aber einige Ansätze leuchten ein. Nachhaltigeres Wirtschaften und Konsumieren ist einer davon. COVID-19 hat Branchen wie die Flug-, Kreuzfahrt-, und Fleischindustrie am härtesten getroffen, zumal alle drei sich als Coronaherde entpuppten. Zweifelsohne werden diese Industrien auf lange Sicht zurückschrauben müssen. Um diese Verlagerungen in den Branchen aufzufangen, sollte der Staat Umschulungsangebote fördern und seine Investitionen bewusst in Bereichen wie dem Gesundheitswesen, Zukunftstechnologien, erneuerbaren Energien und Kulturprojekten ausbauen, um so seiner Lenkungsfunktion gerecht zu werden.

Aber damit nicht genug. Denn letztendlich trägt die Regierung zwar ihren wesentlichen Teil bei, aber auch sie allein kann uns nicht retten. Denn die Gesellschaft besteht aus uns Bürgern und wir bestimmen, ob mit unserem Mund oder unseren Füßen, wohin sie sich bewegt.



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