Queeres Bukarest
Homosexualität ist in Rumänien nicht mehr strafbar. Polizei und Justiz schauen bei Angriffen auf Homosexuelle dennoch weg. Eine bunte, queere Community will mit selbstbewussten Aktionen nun gegensteuern.
Es hängt jetzt ein Schild am Eingang. In den Farben des Regenbogens steht dort: ACCEPT. Diese Offenheit ist neu. Schwul-lesbische Organisationen haben sich in Rumänien lange versteckt. Vor allem in Bukarest entsteht nun jedoch neues Selbstbewusstsein.
Drinnen empfängt Florin Buhuceanu. Er ist eine Ikone der Homosexuellenbewegung Rumäniens. Mit ACCEPT hat er zunächst seit 1994 informell für die Anerkennung von Homosexualität gekämpft. 1996 wurde die Organisation dann offiziell gegründet. Das Ziel war von Anfang an, das Verbot homosexueller Handlungen abzuschaffen.
Strafbarkeit abgeschafft, Diskriminierung bleibt
2001 wurde dieses Ziel erreicht. Bis dahin gab es in Rumänien bis zu fünf Jahre Haft, wenn in der Öffentlichkeit gleichgeschlechtliche Zuneigung gezeigt wurde. Die Polizei demütigte Homosexuelle. Der Beitrittsprozess zur Europäischen Union hat Rumänien schließlich unter Druck gesetzt. Die Abschaffung des Artikels 200 im rumänischen Strafgesetzbuch ist deswegen eher ein politisches Zugeständnis als das Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen.
Denn Homosexuelle erfahren in Rumänien die stärkste Ablehnung, sind also noch tabuisierter als Roma. Eine Studie aus dem Jahr 2010 ergab, dass 84 Prozent der Rumänen aus keinem Glas trinken würden, das vorher von Schwulen oder HIV-Positiven genutzt wurde. Diese beiden Gruppen werden in Rumänien gerne gleichgesetzt. 75 Prozent der Befragten fänden es „schrecklich“, wenn sich ein Familienmitglied outen würde.
Angreifer bleiben ungestraft
Deswegen heißt das Ende der Kriminalisierung noch lange nicht, dass Homosexuelle und Transgender in Rumänien nun sicher leben würden. Florin Buhuceanu und die Projektkoordinatorin von ACCEPT, Teodora Rotaru, berichten von Vorfällen aus den vergangenen Jahren.
Zum Beispiel organisierte ACCEPT 2013 eine Filmvorführung, die von fünfzig Nazis und Homophoben gestürmt wurde. Hitlergrüße und verfassungsfeindliche Parolen wurden nicht geahndet, die Polizei schritt nicht ein. Bis heute wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Ein Jahr zuvor, ebenfalls bei einer Filmvorführung, ebenfalls Hitlergrüße. Auch Bengalos wurden gezündet, wieder griff niemand ein.
2006 wurde der zweite Bukarester Christopher-Street-Day (CSD) mit Rauchbomben und Steinen angegriffen. Anschließend verfolgten Nazis einzelne Teilnehmer. In der belebten U-Bahn wird ein Teilnehmer zusammengeschlagen. Niemand greift ein. Obwohl Kameraaufnahmen existieren, wird nie jemand zur Verantwortung gezogen.
Der letzte große Aufreger war eine Aktion von Roxana Marin. Sie wollte als Lehrerin an ihrer Schule mehr sexuelle Aufklärung. Eltern und homophobe Gruppen protestierten. Banner wurden neben der Schule aufgehängt: „Wollt ihr wirklich, dass eure Tochter lesbisch wird?“
„Human Rights Freakshow!“
Die queere Community will sich das nicht länger gefallen lassen. Mittlerweile entstehen viele informelle Gruppen. Als Teil der neuen Gruppe MozaiQ möchte die Lehrerin Roxana Marin vor allem bislang unberücksichtigte Gruppen ansprechen, beispielsweise Roma oder das Arbeitermilieu. Mit vielfältigen und vor allem verrückten Aktionen möchten die Menschen Selbstbewusstsein erlangen und sich mutig im öffentlichen Raum positionieren.
2016 könnte es neben dem CSD von ACCEPT sogar einen zweiten von MozaiQ geben, um eben diese verschiedenen Gruppen auf die Straßen zu holen. ACCEPT hat zwar wichtige Erfolge im Kampf gegen die Kriminalisierung errungen, ist jedoch wenig in der konkreten Gemeinwesenarbeit aktiv. Diese Lücke könnten MozaiQ und weitere neue Gruppen nun füllen.
Die Lehrerin, Rhetorik-Trainerin und Aktivistin Roxana Marin ist nicht nur bei MozaiQ involviert. Mit einigen ihrer Studenten hat sie auch einen sozialen Treffpunkt aufgebaut, das CARE Café. Mit den Einnahmen aus dem Restaurantbetrieb sollen auf lange Sicht Aktivitäten in der Community finanziert werden. Marin ist besonders wichtig, sich nicht dem Establishment anzupassen. „Ich will eine Human Rights Freakshow!“ Im Café kommen Menschen verschiedenster Identitäten zusammen. Marin ist selbst Roma und gewinnt aus dem ironischen Umgang mit sich selbst viel Kraft, um öffentlicher Diskriminierung zu begegnen.
Oft fährt sie in rumänische Regionen, um dort Aktivisten in ihrem Engagement zu unterstützen. Neben Florin Buhuceanu als Gesicht für die Legalisierung der Homosexualität steht sie für die neue Generation der queeren Community, die nun selbstbewusst nach vorne prescht.
Mehr Vorbilder, mehr Aufklärung
Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Buhuceanu beklagt vor allem den Mangel an öffentlichen Vorbildern. Kaum ein Prominenter hat sich bisher geoutet. Vor kurzem fand die erste Plakataktion mit Gesichtern im öffentlichen Raum statt. Mit dem Queens gibt es einen bekannten Gay Club in der Stadt, und ab und zu läuft auf den Straßen ein Pärchen, das Händchen hält. Doch es fehlen eben weiterhin die prominenten Köpfe und Identifikationsfiguren.
Ein zweites offenes Feld sind die schulische Bildung und die Vormacht der orthodoxen Kirche. Insbesondere Toma Pătraşcu, Präsident der Säkular-Humanistischen Assoziation Rumäniens (ASUR), kritisiert den Einfluss der Religion auf die Gesellschaft. Die Politik weiche hinter den orthodoxen Autoritäten zurück und lasse damit Atheisten und Homosexuelle im Stich. In der Schule werde durch die Kirche jegliche sexuelle Aufklärung verhindert. Buhuceanu und auch Marin sehen das als Gründe für die steigenden Zahlen an HIV-Infektionen. Insbesondere Sexarbeiter sind davon immer stärker betroffen. Wenn Homosexualität aus der Öffentlichkeit verdrängt wird, fehlen Wissen und sichere Räume zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten.
Berliner Verhältnisse?
Insgesamt sind die Aktivisten optimistisch. Einerseits gilt der Blick aus Rumänien heraus. Marin sagt ihren Studenten: „Ihr scheitert an eurem Traum einer internationalen Karriere, wenn ihr Minderheiten diskriminiert. In der EU und in den USA geht das einfach nicht.“ Buhuceanu ist nicht ganz so euphorisch: „In der EU sollte es eigentlich Fortschritte bei der Durchsetzung von Menschenrechten geben. Das ist aber nicht der Fall.“ ACCEPT erhält jedoch Geld verschiedener europäischer Staaten und Stiftungen und weiß vor allem die Kooperation mit anderen europäischen NGOs sehr zu schätzen.
Andererseits richtet sich der Blick nach innen. Die queere Community versteckt sich nicht mehr. Dass es 2016 zwei verschiedene CSDs geben könnte, erinnert an Berliner Verhältnisse, wo es ebenfalls unterschiedliche Vorstellungen über die richtige Aktionsform gibt. Bukarest ist von Berlin noch weit entfernt. Doch der Weg ist klar.