ProIsolation wäre die falsche Antwort
In Polen kommt es zu einem Rechtsruck, Brüssel reagiert mit Druck. Genau der falsche Weg, sagt Lea Deuber. Sie meint: In der EU müssen sich die Länder wieder zuhören.
Als sich die polnische Regierung im Dezember 2015 in die Arbeit ihres Verfassungsgerichts einmischte, waren sich Politiker und Medien aus aller Welt schnell einig: Das ist ein Anschlag auf die Demokratie. Der Eingriff in die Gewaltenteilung kann durchaus genauso interpretiert werden. Polens oberste Richter dürfen nun nur noch mit Zweidrittelmehrheit Urteile fällen. Dass es unter diesen Umständen noch zu vielen Urteilen gegen eilig in Warschau verabschiedete Gesetze kommen wird, ist unwahrscheinlich. Des Weiteren hat die Regierung unter Beata Szydło mehrere Spitzenbeamte ausgetauscht. Die Tendenz der polnischen Regierung ist klar.
Was sollen die europäischen Staaten tun? Schnell hieß es aus Brüssel: Wir müssen der polnischen Regierung Einhalt gebieten! Doch ist das für eine Gemeinschaft klug, der sowieso schon der Hauch eines Demokratiedefizites anhaftet? Ist es klug, so vorschnell die Politik einer Partei zu verurteilen, die (zudem erst kürzlich) mit absoluter Mehrheit ins Parlament gewählt worden ist?
Keine Zeit für Demokratie
Viele Politiker aus anderen Ländern mosern, dass Polen lange genug am Honigtopf der Europäischen Gemeinschaft gesessen hätte. Doch in Polen hat ein Großteil der Gesellschaft das Gefühl, dass er davon nichts abbekommen hat. Dass er eben kein Profiteur der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union ist. Eine liberale politische Meinung ist schön, man muss sie sich aber auch leisten können. Wer drei Jobs hat, um sein Studium zu finanzieren oder seine Familie durchzubringen, interessiert sich im Zweifel nicht für Demokratie. Von Mitbestimmung kann man sich nämlich nichts kaufen.
Erst kommt das Fressen, dann die Moral, wie Berthold Brecht schon gesagt hat. Wenn eine Partei glaubhaft versprechen kann, dass sie die Lebensumstände der Menschen verbessern wird, sind solche Wahlergebnisse nicht verwunderlich. Brüssel muss also genau dorthin schauen und sich fragen: Wie ist es zu diesem Gefühl bei den Leuten gekommen? Wie kann die EU deutlich machen, dass sie die Gefühle und Ängste der Menschen ernst nimmt?
Einfache Leute haben vom Erfolg Polens nicht profitiert
Staaten wie Deutschland können sich jetzt nicht einfach hinsetzen und sagen: „Hallo, bei uns ist doch auch alles okay. Ihr könnt doch jetzt nicht einfach rechtskonservativ wählen und damit unsere schöne Vision von der Europäischen Union zerstören.“ Das geht nicht.
Die Ereignisse der vergangenen Monate in Polen sind ein deutliches Signal, dass in dem Land maßgebliche Dinge falsch laufen. Aber nicht nur in Polen, sondern auch in der EU. Denn die Antwort aus Brüssel – „wir schauen euch jetzt auf die Finger“ – ist genau die falsche und heizt die Stimmung in Polen nur weiter an.
Nicht nur das Verhältnis zu Polen steht auf dem Spiel
Deutschland und die anderen europäischen Länder müssen die Entwicklungen in Polen nicht gut heißen. Aber sie müssen die Ursachen für diese Entwicklungen suchen und verstehen, was in Polen passiert. Dafür müssen sie zwei Schritte auf Polen zugehen, und nicht einen zurück. Die Bundesregierung darf aus der eigenen Geschichte heraus nicht vergessen, wie schnell ein Rechtsstaat untergraben und ausgehebelt werden kann. Der Eingriff in die Arbeit des Verfassungsgerichts ist ein erster Schritt in diese Richtung. Aber Isolation wäre genau die falsche Antwort. Das aktuelle Verhalten der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Kommission macht die Regierung in Warschau stärker.
Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft von 28 Ländern, in welche die einzelnen Staaten mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen eingetreten sind. Das war von Anfang an klar. Politische Lösungen sind nicht immer leicht zu finden, eine gemeinsame Haltung muss immer erst gesucht werden. Aber eine Einigung ist möglich. Dafür müssen die europäischen Staaten wieder lernen, sich zuzuhören. Das gilt im Fall Polens, aber auch in der Flüchtlings- und der Eurokrise. Sonst steht nicht nur das Verhältnis zwischen Brüssel und Warschau auf dem Spiel, sondern die Gemeinschaft an sich.
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