Polen will Teil der Lösung sein
Ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Auswärtiges Amtes in Polen, die nicht namentlich genannt werden will, zeigte, wie wichtig die EU für Polen rund zehn Jahre nach dessen Beitritt ist und welche Probleme es gibt. Eine Analyse.
Die Europapolitik ist in Polen, wie in anderen Ländern auch, ein wichtiger Teil der Außenpolitik. Aber Europapolitik betrifft auch die Innenpolitik. 40 bis 50 Prozent der Menschen im polnischen Auswärtigen Amt arbeiten im Zusammenhang mit der EU. Sie ist ein wichtiger Teil der täglichen Arbeit dieses Ministeriums. Für die Beziehungen zu Deutschland gibt es sogar eine eigene Einheit innerhalb der Abteilung.
Elf Jahre EU: Polen zieht Bilanz
Als Polen 2004 der EU beitrat, befand es sich in einer ganz anderen politischen und ökonomischen Situation als heute. Hauptziel des Beitritts war die ökonomische und soziale Verbesserung und Entwicklung Polens sowie die Anpassung an Westeuropa. Polen wollte ein Teil der europäischen Familie, einer Familie aus Nationen sein. Die Erwartungen von Studenten und Arbeiternehmern bezogen sich vor allem auf die offenen Grenzen und die Bewegungsfreiheit.
Elf Jahre später ist die Unterstützung der polnischen Regierung und der polnischen Gesellschaft für die EU noch immer sehr hoch im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten, doch die EU steht nicht im Zentrum der täglichen politischen Debatte. Die große ökonomische und finanzielle Krise der EU in den vergangenen Jahren, deren Auswirkungen immer noch sichtbar sind, bereitet Polen Sorgen.
Polen hofft vor allem darauf, dass die EU vereinigt bleibt. Aus polnischer Sicht ist jetzt nicht die Zeit für eine Diskussion zur Zukunft Europas, über föderale Visionen. Das war vor einigen Jahren anders. Da führte man in Polen die Debatte, ob man die EU vertiefen soll.
Nicht die richtige Zeit
Die Integration geht voran, aber für Polen ist nicht die richtige Zeit, um über den politischen Aspekt der EU, mehr Einigkeit und Verbundenheit, zu sprechen. Das Projekt der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist nicht so verbindend wie man bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gehofft hatte. Viele Aspekte müssen noch verbessert werden.
Polen sind vor allem drei Aspekte in Bezug auf die europäische Integration wichtig: Die Gemeinschaftsmethode, die demokratische Legitimität der EU und die politische Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten. Polen hofft auch, und das nicht ganz uneigennützig, auf eine Stabilisierung der Bereiche um die EU herum: Russland, Ukraine, Syrien.
Die Qual der Wahl
Der Kurs bleibt
In den vergangen acht Jahren, mit der Koalition der Bürgerplattform (PO) und der Polnischen Volkspartei (PSL), wurde die Europapolitik sehr stark betrieben. Nun könnte ein Regierungswechsel bevorstehen; auch eine Minderheitsregierung ist möglich. Wie auch immer die Wahl ausgeht, das Ergebnis wird den polnischen EU-Kurs nicht dramatisch verändern.
Die nunmehr elfjährige Erfahrung in der EU hat für eine stabile administrative Struktur in den Ministerien gesorgt, „nur“ die politische Führung würde „ausgetauscht“ werden. Auch die deutsch-polnischen Beziehungen werden als so gut und komplex, als so stabil und auf vielen unterschiedlichen Ebenen beschrieben, dass sie von einem Regierungswechsel nicht berührt werden würden. Deutschland und Polen feiern in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum des deutsch-polnischen Grenzvertrags, nächstes Jahr 25 Jahre deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag.
Europäische Themen: Die Flüchtlingskrise und die Euro-Einführung
Auch die polnischen Minister sind natürlich in die Sondergipfel der EU eingebunden. Polen versteht, dass es eine sehr große Migrationskrise gibt. Es sieht auch, dass die europäische Integrität, Solidarität und Kohäsion zur Debatte stehen. Dies ist ein politisch-ideologischer, gefährlicher Prozess. Man hat kaum Erfahrung mit Flüchtlingen. Die Regierung gab kürzlich bekannt, dass Polen ca. 7.000 Asylbewerber aufnehmen wird. Sowohl auf Regierungs- als auch auf Lokalebene ist man dabei, Ressourcen wie Räumlichkeiten, Arbeit und Studienplätze zu überprüfen. Polen will Teil der Lösung sein.
Ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion im Rahmen der Präsidentschaftskampagne im April und Mai dieses Jahr eine Rolle spielte, war die Einführung des Euro in Polen. Bis jetzt bezahlen die Polen mit dem Złoty. Der ehemalige Präsident Bronisław Komorowski wollte die Debatte darüber aufrechterhalten.
Die polnischen Parteien sind sich in diesem Punkt recht einig: Sie denken nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für die Einführung wäre. Auch die jetzige PO-geführte Regierung ist nicht bereit, darüber jetzt eine Debatte zu führen. Dass der Euro kommen wird, steht außer Frage, der Vertrag verpflichtet Polen dazu. Doch aktuell leidet die Eurozone noch immer an den Nachwirkungen der Krise. Es heißt Warten auf ein besseres Klima in der Eurozone.
Rubrik „Persönliches“
Ich habe meine Gesprächspartnerin im Auswärtigen Amt, die nicht namentlich genannt werden will, auch zu ihrer persönlichen Einstellung zu Europa und zur Nationalhymne befragt.
Was verbinden Sie mit der EU?
Den Zusammenhalt der Nationen, Freiheit, Bewegungsfreiheit, Meinungsfreiheit. Ökonomische Kooperation.
Fühlen Sie sich als Europäerin?
Ja. Vor allem, wenn ich in andere europäische Länder reise. Wenn ich beobachte, wie mein Land sich verändert hat. Ich komme aus einer Generation, die Erfahrungen aus der Zeit „davor“ hat. Es ist gut, diese Erinnerungen zu haben und sie mit dem Zustand heute zu vergleichen. Das Land und die EU haben sich verändert
An was denken Sie, wenn Sie die polnische Nationalhymne singen? Wann singen Sie sie?
Ich bin stolz, stolz auf mein Land, auf die Geschichte meines Landes. Wir singen die Hymne an Nationalfeiertagen, zum Beispiel am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, auch in Schulen.
Beim Einzug des polnischen Emblems bei offiziellen Treffen. Im öffentlichen Radio.